Portraits & Interviews

Interview mit Lenore Böcking Döring

Lenore Böcking-Döring sammelt seit den 70er Jahren Textiles, Silberschmuck und Kunsthandwerk. Im Interview erzählt sie über ihre Leidenschaft und ihre Sammlung.

Wie und wann haben Sie Ihre Faszination für textile Arbeiten entwickelt?

Mein Interesse für Textilien war früh geweckt, da eine Tante Schneiderin war, so dass Anleitung, Material und Ideen in der Nähe waren. Außerdem wurde in der Großfamilie sehr viel gehandarbeitet, Stricken oder Häkeln waren selbstverständlich, meine Großmutter habe ich sogar noch am Spinnrad erlebt, Monogramme fanden sich an vielen Handtüchern, bestickte Kissen und Tischdecken waren üblich. Mich interessierten darüber hinaus auch andere handwerkliche Techniken, z.B. Batiken, Arbeiten mit Papier und Emaillieren.

Widmen/widmeten Sie sich selber einem textilen Handwerk?

Ich habe immer viel genäht, z.T. auch eigene Garderobe. Als ich 1975 auf einem Markt eine indische Patchwork-Decke sah, war ich begeistert und sofort „infiziert“. In eigenen Quiltentwürfen habe ich u.a. Reiseeindrücke verarbeitet. Gebrauchte und neue Stoffe jeglicher Art fanden ihren Platz.

Wann und warum haben Sie mit dem Sammeln begonnen?

In Damaskus/Syrien, wo wir ab 1978 wohnten, war ich zunächst von der Fülle der noch aktiven Handwerker begeistert. Den Glasbläsern, Seidenwebern (an alten Jacquardwebstühlen entstanden Brokate mit bis zu 7 Farben) und Bändchenwebern konnte man zusehen. Ebenso konnte man feinste Holzintarsien oder Perlmutteinlegearbeiten entstehen sehen. Gold und Silberschmiede arbeiteten und handelten in einem geschlossenen Basar. Der große überdachte Basar bot ein farbenprächtiges Bild. Die Teppichhändler – mit Ausbesserungen alter Stücke beschäftigt – saßen vor ihren Läden und waren, wie alle Händler, immer bereit, ihre Schätze vor eventuellen Kunden auszubreiten.

Dort fand ich die ersten bestickten Kleider und war begeistert von der Farbenpracht. Mit der Einführung von khakifarbenen Schuluniformen war die Tradition, dass junge Mädchen eine „Aussteuer“ bestickten, vorbei. Allgemein boten die Händler mehr und mehr pflegeleichtere Bekleidung an. Die alten Trachten sah man nur noch hin und wieder bei der Landbevölkerung. Durch mein Sammeln lernte ich regionale Zuordnung, Musterung, Farbauswahl, Bedeutung der Muster oder Farbgebung zu unterscheiden und erfuhr viel über die alten Handelswege und die wirtschaftliche Entwicklung.

In welchen Ländern haben Sie gesammelt?

– in Syrien (1978-1981): Kleider, Silberschmuck, Kunsthandwerk aus Glas, Holz und anderen Materialien. Diese Sammlung habe ich im Sommer 1993 im Museum Oberes Schloss/Siegen und 2009 in der „Villa von Fischer„ in Berlin gezeigt,

– im Jemen habe ich von 1984-1987 Kleider und Silberschmuck zusammengetragen und diese Sammlung 1989 ebenfalls im Museum in Siegen, 1992 im Torhausmuseum, Siegburg und 1994 im Museum Zons, Neuss gezeigt.

– in Kanada (1987-1990) fand ich einige erschwingliche alte Quilts, die ich zusammen mit meinen eigenen z.B. in Ottawa, Siegen, Siegburg und Izmir ausgestellt habe,

– in der Türkei ( 1993-1996) fand ich feine Nadelspitzen, alte Kelims und viele sehr feine Stickereien mit Gold und Silberfäden, aber auch – durch die Öffnung der östlichen Grenzen in diesen Jahren – Ikat-Seidenmäntel aus Usbekistan, bestickte Frauenkleider aus Turkmenistan und Patchworkarbeiten aus Afghanistan,

– in Nigeria (1996-1999): Webereien (Bänder, sog Aso Oke, die von Männern oder Frauen in unterschiedlichen Breiten gewebt wurden). Die daraus entstandenen Männerbubus sind mit großflächigen Stickereien verziert, Die unterschiedlichen Reserve-Techniken, sog, Adire mit Indigo (inzwischen auch mit chemischen Farben) gefärbt (z.B. Wachs oder Pappreservierung, Reservierung durch Abbinden, Abnähen oder Falten). In Nigeria lernte ich auch die Fülle afrikanischer Perlen kennen und sammeln.

– in Griechenland ( 2001-2004) ergänzte sich meine Sammlung an fein gestickten „Überhandtüchern“. Trachten gab es in vielen – auch sehr kleinen örtlichen – Museen zu bewundern, aber nicht mehr zu kaufen.

– in Mauretanien (2004-2007) ergänzte ich meine afrikanische Perlensammlung und die Textilsammlungen um ebenfalls bestickte Männerbubus und Verhülltücher für Frauen in den unterschiedlichen Reservetechniken.

Sammeln/sammelten Sie vorrangig alte Stücke?

Ja, da besonders ältere Stücke in der Regel kunstvoller sind und bei Mustern deutlicher die regionalen Besonderheiten unterscheiden. Neuere gestickte Kleider aus Syrien z.B. zeigen eine gröbere Stickerei und oft mit „Einheitsmotiven“ ( dazu siehe auch Begleitheft der Ausstellung : „Wo Frauen Fäden ziehen“, Kreuzsticharbeiten aus dem Orient, Nürnberg 2013).

Was ist das Besondere z.B. an Stücken aus dem Nahen Osten? … an Stücken aus anderen Ländern?

Die Besonderheit der Stücke aus dem Nahen Osten liegt zunächst in der Andersartigkeit, der Farbenpracht, aber auch in der handwerklichen Sorgfalt (oft sind die Stickereien links und rechts gleich oder die Muster in abgezählten Fäden gestickt und sehr fein). Die Muster zeigen oft noch sehr deutlich den alten Symbol- oder Amulettbezug. Da finden sich der stilisierte Lebensbaum (für den Wunsch nach einem langen Leben), die stilisierte Nelke (ein Fruchtbarkeitssymbol), das Dreieck (auch ein Fruchtbarkeitssymbol, steht aber auch für die Abwendung des „bösen Blicks“) eingenähte Schriftstücke (Koran-Suren oder Teile davon). Perlen oder Silberstückchen waren Statussymbole aber auch Amulette, wie auch Zahlen oder Farben. Achate oder rote Korallen (Fruchtbarkeitssymbole) finden sich an alten Stücken, diese Wirkung wird aber auch ersatzweise roten Knöpfen zugeschrieben.

Wie bewahren Sie Ihre Sammlung auf, um sie vor z.B. Motten und Licht zu schützen?

Die Kleider sind in Seidenpapier geschlagen und liegen in großen Schubladen, Schränken oder Kartons. Die jemenitischen Kleider haben noch immer einen Indigo-Geruch, den Motten nicht mögen, ebenso Druckerschwärze (frische Zeitungen) und den Geruch der ätherischen Öle der Walnussblätter. Ich verwende aber auch chemisches Mottenpapier.

Sie verkaufen auch Stücke, beispielsweise bei der Textile Art Berlin. Fällt es Ihnen schwer, sich von Sammlungsstücken zu trennen?

Ja, der Verkauf fällt mir schwer, aber ich möchte – da die dt. Museen schon gut gefüllt sind – dass einzelne Stücke an Liebhaber gehen, die sie zu schätzen wissen und sich daran erfreuen.

Würden Sie für uns einige ganz besondere Stücke beschreiben und uns sagen, was für Sie den besonderen Reiz daran ausmacht?

Eins meiner frühen Sammlerstücke ist ein Rock aus Nordsyrien, Der Stoff ist eine schwere schwarze franz. Seide, die auf der glänzenden Seite mit Kreuzstichen in feinen Farbabstufungen bestickt ist.

Die eine Hälfte des Rockes zeigt vom Bund zum Saum zwei Dreiecke, darunter zwei größere Rhomben, die jeweils gebildet werden von symbolisierten Nelkenreihen (Nelken gelten als Fruchtbarkeits-Symbol und sind schon in alten koptischen Stickereien zu finden). Auf der anderen Hälfte des Rockes sind fünf dieser Nelkenreihen gestickt (aufsteigend zum Bund hin), die oben mit einer großen stilisierten Nelke abgeschlossen sind. Der Abschluss der Reihen unten bildet ein Streifen größerer Dreiecke, die aus kleinen Dreiecken bestehen. Darunter befindet sich ein weiterer breiter Streifen ineinandergefügter Rauten (ebenfalls ein Fruchtbarkeitssymbol). Auf dieser weichen Seide zeugt diese Kreuzstichstickerei von großer Fertigkeit und Ausdauer. Allerdings weicht auf der Seite des Rockes, auf der die fünf „Nelkenreihen“ gestickt sind, die erste Reihe unten und oben etwas von der nächsten ab. Da galt wohl für die Stickerin: „Nur Gott ist vollkommen“.

Alle Fotos wurden freundlicherweise von Lenore Böcking-Döring zur Verfügung gestellt.