Portraits & Interviews

Interview mit Tatjana Golder

Tatjana Golder ist Textilkünstlerin mit einem Faible für Haute Couture. Sie hat Gesang und Kunstgeschichte studiert und sich schließlich fürs Sticken entschieden. Ich wollte von ihr wissen:

Wann haben Sie ihre Begeisterung für das Sticken entdeckt?
Ich bin in Russland noch unter dem sowjetischen Regime geboren. Wir konnten uns keinen Luxus kaufen. Wenn meine Tante aus der DDR mir Geschenke mitbrachte, habe ich mich sehr privilegiert und glücklich gefühlt – es war Wäsche mit Spitzen und eine kleine Bonbon-Dose „Liebesperlen“ – winzig kleine süße Kügelchen. Und im Kindergarten habe ich bei einem Mädchen ein Parfümfläschchen gesehen …  Wie aus einem arabischen Märchen.  Ich wollte unbedingt eines besitzen! So habe ich meine Liebe zum schönen, aber unpraktischen Dingen entdeckt.

Wurde schon in Ihrer Familie gestickt?
Meine Mutter konnte nähen und schon in der 4. Klasse habe ich angefangen, meine Kleider selbst zu machen, – mir war nicht gut genug, was meine Mama genäht hat. Und noch früher habe ich schon meine Puppen angezogen. Und ich erinnere bis heute an jedes Puppenkleid. Es war echte HAUTE COUTURE -Kleider mit Stickerei – Stoffe wollte ich sofort verschönern.

Was haben Sie studiert?
Noch als Mädchen habe ich beim Sticken geträumt, eine Sängerin zu sein!  Das war mein erstes Studium. Auch Kunstgeschichte habe ich in Universität studiert.
Aber dann hat meine erste Leidenschaft für schöne Stoffe, Perlen und Faden gewonnen! Ich wurde in einem Modehaus in Jekaterinburg, wo ich geboren bin, als Lehrling für Machinenstickerei angenommen.
Meine Lehrerin hat mir so schwierige Techniken mit der Nähmaschine gezeigt, dass ich beim Mittagessen in meinen Suppenteller geweint habe, aber nach zwei Monaten war ich schon in einer experimentellen Mode-Abteilung und konnte eigene Kreationen für eine Modeschau sticken. Ich bin überzeugt, dass meine Begabung angeboren ist. Dazu muss ich sagen, mein Papa hat goldene Hände – er hat unglaubliche feine und komplizierte Arbeiten aus Plexiglas gemacht. Bei ihm habe ich Perfektion und Fleiß gelernt.

Welche Techniken bevorzugen Sie beim Sticken? Sticken Sie in erster Linie mit der Maschine oder mit Hand?
3D-Techniken aus 17. Jahrhundert sind eine Herausforderung für mich. Goldstickerei fasziniert mich und ich liebe es, mit Silberfaden zu sticken. Ich kombiniere das mit winzig kleinen goldenen Pailletten und Perlen. Manchmal verstecke ich Perlen unter einem Band aus Goldfaden oder unter Tüll. Experimentieren ist das Wichtigste, – aus bekannten Dinge etwas Neues machen und dabei Regeln brechen – das ist meine Welt!
Ich liebe auch das Spiel mit Applikationen. Ich sticke erst viele kleine Teile – was ich möchte – und dann mache eine Collage. Ich kombiniere Handarbeit mit Maschinenstickerei – das ist meine Spezialität. Das Aufbringen von Perlen mit der Nähmaschine ist kein Problem für mich. Und natürlich liebe ich einfach das „Malen“ mit der Nähmaschine! Das unterrichte ich immer gleich in der ersten Unterrichtsstunde. Danach wird das Bild mit Handstichen und 3D-Applikationen fertig gestellt und dabei stickt jeder Geschichten aus dem eigenen Garten. Wenn ich sticke, erzähle ich immer Geschichten.

Welche Materialien verwenden Sie?
Das Sticken mit antiken Materialen liebe ich besonders. Ich habe im Atelier ein kleines Museum – alles gesammelt von Flohmärkten in Paris, London, Moskau und kleinen Städtchen. Ich kaufe oft alte bestickte Sachen zum „Ausschlachten“…  Manchmal entwickle ich außergewöhnliche Ideen nur aus kleinen abgebrochenen Teilen unbekannter Herkunft. Zum Beispiel sieht ein Teil aus wie eine Maske … und in meinen Kopf verbindet sich das mit dem Bild von einem Ritter, der Frauen beschützt …

Sie haben für deutsche und französische Couturiers gearbeitet. Ging es da um das Besticken von Kleidern?
Ich wollte noch im letzten Jahrhundert Paris erobern … Ich war in fast allen berühmten Ateliers für Stickerei und in großen Firmen – CHANEL, DIOR, LACROIX, CHLOE, UNGARO. Überall habe ich größte Komplimente bekommen, aber ich hatte keine Ahnung wie alles funktioniert … Ich habe Muster entwickelt, – aber schnell sticken allein kann ich nicht. Später wurde ich von einer deutschen Firma entdeckt, die für Paris Stickereien herstellt. Dort hat ein Automat nach meinen Ideen gestickt – das ist schnell und natürlich günstig. Business!
Zum Beispiel hat CHANEL die Aufgabe geschickt, sich alles zum Thema „Garten“ auszudenken und Muster zu entwickeln. Es war wie ein Wettbewerb zwischen Firmen und ich habe alle möglichen Insekten gemacht, sogar Eimer und Schaufel … mit dem berühmten Zeichen COCO. Gewonnen hat der Käfer. Von dem wurden danach über 2000 Stück produziert. (Handarbeit war davon nur 20%.) Eines Tages habe ich Karl Lagerfeld in Paris getroffen und konnte ihm sagen, wer diesen Käfer (für mich ein Glückskäfer) entworfen hat.

Sie haben eine Internationale Stickerei-Schule und geben Workshops und Privatunterricht. Was kann man bei Ihnen lernen?
Meine Begabung bedeutet für mich die Pflicht, meine Kenntnisse weiter zu geben. Ich habe schon überall unterrichtet- in Frankreich, Deutschland, Russland Holland, sogar in Dubai (!). Früher habe ich immer Maschinenstickerei unterrichtet, und jetzt unterrichte ich auch Handstickerei. Ich habe etwas ganz Neues, was in dieser Form sonst nicht gibt. Ich habe verschieden Sets vorbereitet. Alles ist in einem Paket – kleine Teile sind schon gestickt – man muss nur auswählen und mit selbstgemachten Rosen, Perlen und Bändchen kombinieren.  Ich helfe bei Komposition und Farbe und zeige manche Tipps und Tricks aus meinen Erfahrungen, – und wenn ich dann auf der anderen Seite Begeisterung spüre, dann verrate ich noch mehr „Geheimnisse“! Wir machen Glückskäfer, Engel, Manschetten mit Rosen und Colliers.

Wo haben Sie Ihre Arbeiten schon ausgestellt?
Meine erste Ausstellung in Europa war gleich in Paris! Dann in Amsterdam im berühmten Taschenmuseum. Das Museum in Angers in Frankreich hat meine Arbeit nach dem damaligen Wettbewerb gekauft. Und ich bin besonders stolz, wenn meine Schüler dabei sind. So war es in Moskau und Jekaterinburg.
Wo ich unterrichte, habe ich auch meine Arbeiten ausgestellt. Ich muss sagen, dass es in Deutschland leider weniger Interesse für Textilkunst gibt. In Frankreich habe ich oft erlebt, dass sich lange Schlangen vor Ausstellungen bilden.

Sie haben schon bei einigen Wettbewerben gewonnen, bitte erzählen Sie uns davon.
Mein erster Wettbewerb war eine Ausschreibung der Zeitschrift BURDA. In Jahr 1994 habe ich meinen ersten Preis gewonnen.  Es war ein Bild zum Motto Gute Freunde -„Ich heiße Knopf und das ist mein bester Freund: Zwirn“.
Danach folgten ein Wettbewerb der Firma COATS und MEZ, drei Wettbewerbe von PFAFF und drei des französischen Museums in ANGER. Und danach liefen in Europa dreijährlich Ausstellungen von allen preisgekrönten gestickten Arbeiten, aber selten in Deutschland. Sogar bei dem PFAFF-Wettbewerb für Stickereikunst gab keine Ausstellungen in Deutschland!

Fühlen Sie sich als Künstlerin anerkannt? Ich frage, weil die Textilkunst nicht immer die Anerkennung bekommt, die sie verdient.
Es ist sehr schade, dass nur in Berlin mit der TEXTILE ART etwas wirklich Interessantes stattfindet und wir sehen, dass diese Kunst lebt. Ich fühle mich verpflichtet zu kämpfen, (Sponsoren zu suchen …). Ich möchte in einer Zeit, in der immer mehr industriell gefertigte Massenware die Individualität verdrängt und alles schnell und billig fertig sein muss, nicht wie die Dinosaurier aussterben.
In Baden-Baden habe ich seit Oktober kleine Schule, wo ich Kinder und Eltern unterrichte kreativ zu sein. Ich will Kindern beibringen aus eigener Kleidung oder aus Stoffresten beispielsweise „Couture“ für Puppen und Kuscheltiere zu fertigen. Ich bin ganz stolz, dass bei mir schon ein Junge angefangen hat zu sticken und zu nähen.  So wie bei mir einmal alles angefangen hat …

Die Website von Tatjana Golder ist: http://www.tatjana-golder.de

Alle Fotos wurden von Tatjana Golder zur Verfügung gestellt.