Reportagen

Bericht über einen Besuch im Maison des Canuts in Lyon

Mit der Untergrund-Zahnradbahn geht es hoch auf den Hügel in das alte Weberviertel Croix Rousse, dort liegt das Maison des Canuts. Die Weber waren aus tiefer liegenden Stadtvierteln auf den Hügel gezogen, da die neuen Webstühle so hoch waren, dass sie nicht in die alten niedrigen Häuser passten. In den alten Klöstern auf dem Berg waren die Räume hoch genug. Es wurden auch rasch neue Häuser gebaut. Zudem schützte die Lage auf dem Berg vor Überschwemmungen. Im Museum erfährt man Vieles über Seide und die Seidenindustrie von Lyon. Canut war die Bezeichnung für einen Webermeister, der mit Gold-, Silber- und Seidenfaden webte.

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Die Lyoner Seideninstrie nahm 1536 ihren Anfang, als König François I der Stadt Lyon das Privileg verlieh, Gold-, Silber- und Seidengewebe zu fertigen. Zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert war Lyon als Metropole der Seide weltberühmt. Im 17. Jahrhundert begann in der Umgebung der systematische Anbau von Maulbeerbäumen, von deren Blättern sich die Seidenraupen ausschließlich ernähren.

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Die Entwicklung des mechanischen Webstuhls durch Joseph-Marie Jacquard 1805 revolutionierte die Seidenweberei. Bis dahin mussten die Webergehilfen mühsam von Hand einzelne Kettfäden heben und senken, damit das Muster entstand. Die große Neuerung waren Lochkarten. Durch je eine Lochkarte pro Schuss werden Kettfäden einzeln hochgezogen und so wird das Weben groß gemusterter Gewebe ermöglicht. Jetzt konnte der Weber allein den Webstuhl bedienen. Bereits 1812 waren 12.000  neue Webstühle in Betrieb. Im 19. Jahrhundert kommen auf 800 industrielle Webereien etwa 10.000 Klein- und Zwischenmeister, die durchschnittlich über 5 Webstühle verfügen und 30.000 bis 40.000 Arbeiter.

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Das Bild zeigt einen sogenannten Talabot-Trockner. Auf Verlangen der Handelskammer von Lyon entwickelte Léon Talabot 1841 ein Gerät zur Kontrolle des Gewichts und der Feuchtigkeit der Seide.
Das Gerät funktioniert wie folgt: Seidenstränge werden in einen Metallkorb gelegt, der mittels einer Kette in einen Zylinder gehängt wird. Der Deckel des Zylinders wird geschlossen und heiße Luft wird in den Zylinder geleitet. Die darüber angebrachte Waage erlaubt es, die Seide zu wiegen. Ist alle Feuchtigkeit aus der Seide entwichen, zeigt die Waage das absolute Gewicht an. Das Verfahren wird in unterschiedlichen Geräten wiederholt, um einen Mittelwert zu erlangen. Dann wird dem konditionierten Gewicht 11 Prozent Feuchtigkeit hinzugerechnet. So erhält man das legale Seidengewicht. Dank der Trocknungsgeräte der Seidenkonditionierer von Lyon wurden 1841 rund 66.000 Kilogramm Seide pro Monat konditioniert, 1913 waren es sogar 700.000 Kilogramm. Die orientalisch anmutenden Abbildungen auf den Geräten zeugen vom Einfluss der chinesischen Kunst in Lyon.

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Eine weitere Maschine, genannt Rouet de guimperie, bringt Gold auf Seidenfäden auf. Hier wird auch erklärt, wie Silberfäden gemacht wurden: Man benötigt eine 1,20 lange zylindrische Stange Silber, die an einem Ende zugespritzt ist. Die Spitze wird durch immer kleinere Löcher gezogen, bis Draht der gewünschten Dicke erzeugt ist. Golddraht wird ganz ähnlich produziert, allerdings auf der Basis einer vergoldeten Silberstange. Ab 1672 durfte nur noch eine staatliche Zieh-Anstalt Gold und Silber ziehen. Diese Drähte gehen dann zu den Guimpiers, die diesen feinen Draht um Seidenfaden wickeln.

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Ganz interessant zu lesen ist, welche Einnahmen und Ausgaben ein Seidenweber um 1830 hatte. Ein Seidenweber beschäftigte ein oder mehrere Gehilfen und Lehrlinge, er schlief und arbeitete in seiner Werkstatt. Wollte er drei Webstühle betreiben, benötigte er einen Gesellen, der die Hälfte des Macherlohns sowie Essen und Unterkunft erhielt. Die Miete betrug 200 Francs pro Jahr.
Der Weber konnte pro Tag und Webstuhl 3,5 Meter gemusterten Stoff weben. Bezahlt wurde per Elle, das waren 1,20 Meter, und in Abhängigkeit von der Komplexität des Designs und der Fehlerfreiheit des Gewebes. Für Taft erhielt der Weber 1,50 Franc/Elle, für Satin 1,70 Francs/Elle, für einfarbigen Samt 5 Francs/Elle, für gemusterten Samt 7 Francs/Elle.
Als diese Preise von den Unternehmen trotz festgelegter Tarife immer weiter heruntergesetzt wurden, kam es 1832 und 1834 zu Aufständen der Seidenweber, die blutig niedergeschlagen wurden.

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Das 19. Jahrhundert war in Frankreich das goldene Zeitalter der Seidenraupenzucht. 1855 kam es jedoch zu einer Epidemie, der sogenannten Flecksucht. Der berühmte Wissenschaftler Louis Pasteur fand heraus, dass die Seuche erblich ist und man die kranken von den gesunden Seidenraupen trennen musste. Das Verfahren heißt Zellgranierung. Die Seidenfadenproduktion in Frankreich ging infolge der Seuche zurück. Es musste Seide aus dem Orient zugekauft werden. Die Seidenraupenzucht nahm immer weiter ab und endete in den 1960er Jahren.

An einer Wand hängen Bilderrahmen mit Schwarz-Weiß-Fotos, denke ich zuerst. Es sind aber keine Fotos, sondern gewebte Bilder, das sieht man erst, wenn man genau hinschaut. Ich bewundere nicht unbedingt das Bild, aber die Feinheit des Gewebes.

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Gut gefallen hat mir, dass im Museum Karten in deutscher Sprache ausliegen, auf denen die Ausstellungsstücke erklärt werden.

Maison des Canuts
10-12 rue d’Ivry
69004 Lyon
https://www.maisondescanuts.fr
Täglich geöffnet von 10 bis 18.30 Uhr
An Sonn- und Feiertagen geschlossen