Portraits & Interviews

Interview mit Alice Kettle

Alice Kettle ist eine bekannte Textilkünstlerin aus Großbritannien. In ihren maschinell bestickten Werken, die häufig riesige Ausmaße haben, nutzt sie die Strukturen und Effekte, die durch den intuitiven und kreativen Einsatz mechanischer Prozesse möglich werden.
Themen ihrer Arbeiten sind die menschliche Existenz, Erzählungen und die Mythologie. Eine Ihrer riesigen Arbeiten mit dem Titel Mythscapes, die zurzeit an verschiedenen Orten in Großbritannien ausgestellt wird, basiert auf Homers Odyssee.
Zurzeit ist sie auch Dozentin an der Manchester School of Art.

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Welche Ausbildung haben Sie?

Ich habe eine Ausbildung als Malerin. In den 70er Jahren habe ich die Kunsthochschule besucht. Wir wurden ermuntert, uns mit Komposition sowie der Materialität von Farbe und Farben auseinanderzusetzen. Ich habe gelernt, mit sehr großen Flächen zu arbeiten, eine sehr gestisch-expressive Art zu Malen. Dann habe ich am Goldsmiths College der Universität London in einem weiterführenden Studiengang das Fach Textilkunst belegt. Dort habe ich mit dem Sticken angefangen, eigentlich mit demselben Ansatz wie bei der Malerei. Ich habe lediglich versucht, Formen und Farben in anderes Material zu übersetzen.

Wie würden Sie Ihre Arbeit beschreiben?

Ich würde sagen, es sind in erster Linie große Wandbehänge, die im Stil an Malerei erinnern. Die Bildsprache ist figurativ, es geht um Kombinationen von Garnen, Farbe und Farbfeldern, bei denen Licht und Strukturen eine Rolle spielen.

Welche Techniken und Materialien nutzen Sie?

Ich nutze freies Maschinensticken. Ich nutze Garne ganz unterschiedlicher Stärke. Oft arbeite ich ausgehend von der Rückseite und versuche mit verschiedenen Garntypen und -stärken interessante Kombinationen zu schaffen. Seit Kurzem befasse ich mich auch mit digitalen Maschinen. Seitdem ich in der Manchester School of Arts arbeite, habe ich auch andere Maschinen ausprobiert, wie die Omni-Stitch-Maschine oder die Cornely. Eine kurze Weile wurde an der Universität auch die Schiffli-Maschine eingesetzt, das ist eine industrielle Stickmaschine mit 83 Nadeln. Interessant fand ich, dass jede sie anders genutzt hat, abhängig von den jeweiligen Interessen und dem Ansatz in Bezug auf Textilkunst und Sticken. Ich habe mit dieser Maschine eine ganze Serie von Arbeiten gestickt. Ich nutze aber eigentlich eine normale Nähmaschine mit einem Fuß für freies Maschinensticken. Sie hat einen separaten Motor, weil ich so große Stücke bearbeite.

Programmieren Sie Ihre Muster erst digital ?

Meine Art zu Arbeiten hat sich mit der Zeit weiterentwickelt. Erst habe ich nur freies Maschinensticken genutzt. Dann bin ich zu einer Kombination von freiem Maschinensticken und digitalen Mitteln übergegangen. Ich mache eine Zeichnung, digitalisiere sie auf dem Computer und versuche dann, sie mit der Stickmaschine in Garn umzusetzen. Ich möchte dass das weniger mechanisch und mehr gemalt aussieht. Ich spiele mit einer Kombination von Garnen. Seit neuestem nutze ich eine Kombination von Druck und Sticken, was mich zurückführt zu der Malerei, mit der ich angefangen habe.

Was inspiriert Sie?

Geschichten und Menschen! Meine Arbeiten basieren in der Regeln auf einer Erzählung oder Geschichte. Es geht um die Zusammenhänge zwischen Dilemmas und Umständen. Wie kommt das in der Geschichte zum Ausdruck und welchen Bezug hat es zu uns selbst? Ich denke dann darüber nach, wie ich das in Farbe darstellen kann und wie das textile Medium seine eigene Stimme dazu einbringt.
Ich nehme auch Aufträge an und habe eine ganze Reihe von Serien zu bestimmten Themen gearbeitet.

Können Sie von Ihrer Kunst leben?

Ich konnte als freie Künstlerin von meiner Kunst leben. Seit Kurzem habe ich aber eine Teilzeitstelle an der Manchester School of Arts. Das ist eine große intellektuelle Herausforderung und ich bin bei meinen Arbeiten viel experimentierfreudiger geworden. Ich genieße es, neue Techniken und Ideen zu erforschen und zu entwickeln. Ich bin nicht mehr so abhängig davon, zu produzieren und Aufträge zu bekommen. Jane McKeating und ich haben auch eine ganze Reihe von Werken zur Textilkunst veröffentlicht. Wir versuchen damit, die hergebrachten Ansichten der Öffentlichkeit zu Textilkunst in Frage zu stellen und weiterzuentwickeln. Wir wollen zeigen, auf welche neue Weise textile Materialien eingesetzt werden können und Künstler ermutigen, mit neuen Materialien zu arbeiten.

Sie und Jane McKeating haben viel über die Textilkunst und ihren Platz in der modernen Welt nachgedacht. Denken Sie auch, dass die Textilkunst viel zu gering geschätzt wird?

Ja, unbedingt. Wir genießen zwar beide allerhand Ansehen im Bereich der Textilkunst, aber natürlich ist es schwierig, einen Durchbruch in die Welt der „schönen Künste“ mit ihren etablierten Ausstellungen und Galerien, ihrem Status zu erzielen. Wir beide setzen uns dafür ein, die Sichtweise der Öffentlichkeit zu verändern. Wenn die Menschen Textilkunst erleben und sehen, dann ändern sie ihre Meinung. Bisher erkennen sie nicht, wie interessant sie ist.