Portraits & Interviews

Interview mit dem Künstler Robert Hogervorst

Neue große Textilcollagen und Zeichnungen von Robert Hogervorst sind vom 1. bis 30. Juni 2021 in der Galerie für Gegenwartskunst in Neuruppin zu sehen. In der Ankündigung heißt es: „Der Künstler aus den Niederlanden befasste sich bisher mit Plastiken, Collagen, Zeichnungen, Malerei und Holzschnitten. … In der letzten Zeit hat sich Robert Hogervorst auch das Feld der künstlerischen Textilarbeit erobert.“

Ich wollte mehr über den Künstler wissen und habe ihm Fragen gestellt.

Bitte beschreiben Sie ihren künstlerischen Werdegang.

Das Zusammengehen von Kunst und Pädagogik ist der rote Faden in meinem beruflichen Werdegang. Diverse Kunstformen habe ich in meiner Arbeit als Pädagoge eingesetzt: Marionettentheater, Malerei, Musik, Dichtkunst, räumliches Gestalten, Spielimprovisation, Holzschnitt und Textilarbeit. Erst in einer späteren Phase meines Lebens, ab 1981, habe ich mich überwiegend der Bildenden Kunst gewidmet. Ab Juni 1981 lebte ich wieder in Rotterdam und wurde Mitglied der BKR Regelung für Bildende Künstler. In diesem Zusammenhang hat die Stadt Rotterdam in den folgenden 6 Jahre über 70 Werke von mir angekauft.

1987 zog ich um in die Provinz Nord-Holland. Inmitten von Wiesen und Tulpenfeldern. Eine flache Landschaft. Der Himmel halbrund über einen gespannt. Licht und Luft als Begleiter. Das Meer in der Nähe. Ein Lebensabschnitt, der mich bleibend geprägt hat. In einem umgebauten Kuhstall richtete ich mein Atelier ein.

1992 besuchte mich eine Leiterin der Hochschule aus Leiden und fragte, ob ich Unterricht geben könnte, für die Abteilung Kunsttherapie. Ich sagte zu und nicht lange danach fuhr ich drei Tage in der Woche zur Hochschule und unterrichtete 30 Studenten.

Erzählen sie uns über ihre Lehrtätigkeit an der Hochschule.

Meine offizielle Berufung als Hochschullehrer durch das Holländische Wissenschafts- und Bildungsministerium fand im Februar 1994 statt. Meine Tätigkeit an der Leidse Hogeschool war eine besondere Erfahrung. Ich war beeindruckt von der Motivation und Kreativität der Studenten. Neben dem Malen und Zeichnen haben wir mit Seilen, Stöcken, Tüchern und anderen Gegenständen gespielt. Der Fantasie freien Lauf gelassen.

Was hat sie nach Berlin gebracht?

Im Jahr 2000 war ich als Kunstlehrer in Schweden tätig. Freunde stellten mich einem Musikerehepaar aus Berlin vor. Das Ehepaar hatte über meine Tätigkeit als Pädagoge erfahren und bat mich wegen ihres Sohnes, der Probleme in der Schule hatte, mit der Schulleitung und mit dem Lehrer des Jungen zu sprechen. Vorgesehen war ein Besuch von drei Tagen. Am dritten Tag hatte ich noch 6 Stunden frei, bevor mein Flug nach Schweden ging. Ich besuchte die Innenstadt und kam zufällig am Kunsthaus Tacheles vorbei. Ich war sofort angetan von der unkonventionellen Stimmung des Hauses. Kurz danach sprach ich den Leiter des Kunsthauses an und fragte, ob noch Ateliers frei seien. „Ja“, sagte er, „im September wird ein Atelier frei.“ Spontan habe ich zugesagt und im September 2002 fuhr ich mit meinem alten Saab, vollgeladen mit Material, nach Berlin. Ich wollte höchstens anderthalb Jahr bleiben. Ich bin noch immer da.

Sie arbeiten unter anderem als Kunstlehrer an der JVA in Plötzensee, Berlin. Erzählen Sie uns davon.

2018 habe ich diese Arbeit abgeschlossen. Es war eine starke Erfahrung. Ich habe sowohl in Plötzensee als auch in der Untersuchungshaftanstalt in Moabit gearbeitet.

In Plötzensee habe ich mit den Insassen gemalt und gezeichnet, aber auch Spielzeug und Vogelhäuschen gebaut. Mit großer Hingabe haben die Insassen für ihre Kinder Autos mit Anhängern oder Busse aus Holz gebaut, fein geschliffen und sorgfältig bemalt. Das Resultat der Arbeit sah perfekt aus.

Einer der Insassen, der eine Gefängnisstrafe von 15 Jahren bekommen hatte, baute ein wunderbares Vogelhäuschen. Er durfte das auf dem Innenhof des Gefängnisses an einen Mast befestigen. Ich fand das sehr symbolisch. Ein Häuschen, wo man frei ein- und ausgehen kann. Wenigstens als Vogel.

In Moabit war die Materialauswahl aus Sicherheitsgründen begrenzt. Dort habe ich mit den Insassen hauptsächlich gemalt und gezeichnet. Einer der Insassen, der lebenslang hatte, durfte für die Kapelle des Gefängnisses ein Triptychon malen. Ich habe ihn bei diesem Projekt begleitet. Es waren drei abstrakte Bilder im Format von etwa 80 x 100 cm. Diese Arbeit lief über mehrere Wochen.

Arbeiten sie erstmals mit textilen Materialen?

Nein, textile Materialien habe ich bei dem Bau von Marionettentheatern, Dekors, beim freien Spielen mit Stoffen usw. verwendet, aber nie als Kunstform. Anfang 2019 entschied ich mich, mit Baumwollstoffen zu arbeiten. Mir schwebten flächenhafte Textilcollagen vor. Eigens dafür nahm ich Nähstunden bei Bettina Fritz in Pankow, in einem professionell eingerichteten Studio mit einer sehr fähigen Lehrerin. Bei ihr habe ich das Grundlegende gelernt. Durch die Praxis habe ich dann selbst neue Techniken dazu entwickelt.

Wie haben sie das textile Material bearbeitet?

Ich schneide mit der Schere Stücke Stoffe aus und nähe sie auf einen stabilen Untergrund. Die Komposition braucht mehrere Tage. Ein spannender Prozess. Das Nähen selbst dauert dann je nach Größe ein oder zwei Wochen.

Was reizt Sie daran, was können Sie damit ausdrücken, was mit Malerei nicht möglich ist?

Der erste Unterschied ist das Haptische. Man kann textile Stoffe in der Hand halten, sie befühlen. Das geht bei der Malerei nicht. Eine Kreide in der Hand halten, ist nicht das gleiche. Textile Stoffe sind, je nachdem ob man sie flach oder gewellt auflegt, entweder zwei- oder dreidimensional. In der Malerei baut man aus einem Punkt oder einem Strich eine Farbfläche auf. In den Textilcollagen, die ich herstelle, ist die Fläche gegeben. Man schneidet einen Kreis oder eine andere Form aus. Das hat auch etwas Statisches im Gegensatz zu dem „Flüssigen“ der Malerei. Das Endprodukt hat eine andere Nähe als ein gemaltes Bild. Ich empfinde die Textilkunst als körperlicher. Das hat seinen eigenen Charme.

Welchen Stellenwert hat die textile Kunst für sie?

Einen sehr großen. Sowohl für die traditionelle Kunst – als auch für die Produkte der Moderne und die der heutigen Zeit.

Die Textilkünstler, die verbunden mit dem Bauhaus waren, wie zum Beispiel Gunta Stölzl und Anni Albers, trugen maßgeblich bei zum Industriedesign und zum Stellenwert der Textilkunst überhaupt. Die traditionelle afrikanische oder asiatische Textilkunst ist von hohem Standard. Man kann viel von ihr lernen.

Sonja Delaunay nimmt einen besonderen Platz bei mir ein. Ihre Stoffentwürfe sind dermaßen originell. Man staunt über ihren Einfallsreichtum.

Auch die Schweizerin Elsi Giauque-Kleinpeter betrachte ich als Pionierin der Textilkunst. Ihre Werke sind zeitlos.

Von Textilkünstlern, die heute leben, bewundere ich die nigerianische Künstlerin Nike Davies-Okundaye oder den jungen Diedrick Brackens aus den USA, Charles Delclaux aus Spanien, Raija Jokinen aus Finnland, Ghada Amer aus Ägypten, Ann Cathrin November Høibo aus Norwegen, und Alexandra Kehayoglou aus Argentinien, um nur einige zu nennen.

Die weltweite Textilbranche ist wieder eine andere Frage. Darüber wird viel berichtet; das hat ein Niveau erreicht, das krankhaft ist: Überproduktion, Ausbeutung der Näherinnen. Die Liste ist lang.

Wie erleben Sie die Zeit der Pandemie?

Wie jeder andere Mitbürger. Anstrengend. Eine für 2019 geplante Tournee mit meinem Figurentheater musste ich absagen. Ein Jahr der Vorbereitung fiel ins Wasser. Aber so ist es vielen Künstler ergangen.

Dabei sind wir in Europa gesegnet mit einer gut funktionierenden medizinischen Versorgung. Große Achtung habe ich für das Personal in den Krankenhäusern, die noch immer um jedes Leben kämpfen, um jeden Menschen, der eine schwere Covid 19-Infektion durchmacht. Das sieht in Afrika, Mittelamerika oder im Mittleren Osten ganz anders aus.

Ich hoffe, dass die Corona Pandemie uns veranlasst, grundlegend umzudenken. Das betrifft die Tierhaltung, den Raubbau an der Natur und unser Verhalten als Konsumenten. „Back to normal“ ist eine Illusion.

www.art-studio-hogervorst.com
www.art-and-education.eu