Portraits & Interviews

Interview mit dem Multi-Talent Klara Li

Foto:Russ Smith

Erzählen Sie uns von Ihrer Kindheit, was hat sie damals unter den Künsten und Handwerken am meisten begeistert?

Gebannt war ich ganz besonders von linearen Zeichnungen. Ich hatte bei meiner Omi Elise Li (Bergholz) Hans-Christian-Andersen-Märchenbücher, die mit zauberhaften Jugendstil-Illustrationen verziert gewesen sind, wobei die Anfangsbuchstaben sich ornamentisch in die Buchseiten hineinschlängelten und dann mit den Gestalten wie zum Beispiel der kleinen Seejungfrau grafisch verwoben waren.

Diese Figuren und Botaniksymbole habe ich mit Transparentpapier aus dem Bauzeichnerfundus meines Opas endlos selbstvergessen abgepaust. In dieser damals für mich so seltenen Atmosphäre der Geborgenheit, in der Kleinstadt Niemegk im Fläming, konnte ich seelisch auftanken. Das waren die Inseln, auf denen ich unbehelligt Kind sein durfte.
Diese Omi, bei der ich hin und wieder geschützte Zeiten in Stille verbringen durfte, war es auch, die mich mit Konsequenz im Sticken von Hand unterrichtete. Zudem trainierte sie mit mir in förderlicher Ruhe viele Kniffe der ganz alten Schule der Schneiderkunst inklusive den Einsatz des Dämpfbügeleisens für Formgebungen und Abschlusskanten … Als ich älter wurde und wir uns fachkundig untereinander austauschten, bestaunte sie wiederum die Möglichkeiten, die die Zick-Zack-Nähmaschine und die Zackelschneide-Schere für die Umsäumungen mit sich bringen … Sie selbst war Schneidermeisterin und eine außerordentliche Könnerin der Knopflochstickerei Weiss in Weiss. Ich hatte diese Tradition mit der Großmuttermilch eingesogen und dann bereits im Alter von 10 Jahren angefangen, die alten Techniken avantgardistisch abzuwandeln, indem ich Bonbonpapierchen oder Kaffeetüten-Glanzpapier in freie Girlanden-Kreationen und zweckungebundene Schöpfungen mit einfliessen ließ. Beispielsweise fixierte ich die textile Oberfläche gestickter Amulette mit profanem Nitrolack und ich nähte Folien mit der Nähmaschine aneinander. Meine Großmama war nach außen eine angepasste Frau. Jedoch wenn ich sie mit solcherart eigenwilligen Mixtur-Erschaffungen beschenkte, schmückte sie ihr gesamtes biederes Wohnzimmer damit aus und liess es über lange Zeiten zwischen Lampenglocken und Bufettschrank hängen, um sich daran zu erfreuen und es allen BesucherInnen zu präsentieren. Sie sammelte für mich u.a. die glattgestrichenen Bonbonpapierchen aus dem Westpaket … Sie ließ mir eine aufrichtende Wertschätzung zukommen, deren Langzeit-Nachwirkung ich mir erst viel später bewusst wurde.

Im Haus meiner Großmama väterlicherseits in Niemegk genoß ich eine geborgene Ungestörtheit, die mich am Klavier meines Onkels – ihres jüngsten Sohnes – unbeschwert musizieren und treppauf treppab trällernd die Texte von Volksliedern einstudieren ließ. Was sie lächelnd  mit den Sätzen begleitete „Wenn Du nur singst!“

Meine Großmama hat mich auch massgeblich angespornt, dass ich mich um eine Handwerksausbildung bemühe und nicht lockerlasse, mich konkret für die Schuhmacherin-Ausbildung zu bewerben. In der DDR war das die Voraussetzung für eine Zulassung zum Kunststudium. Ihre Anteilnahme an dem Bewerbungsprozess hat mich echt weitergetragen, denn schon während meiner jugendlichen Kindheit litt ich unter schweren Depressionen … Was den Kontakt zu ihr leider auch brüchig machte.

Auch das Schneidern und Bastel-Gestalten meiner Mama Margarete war sehr entzückend und für mich von klein auf inspirierend. Während der Vorschulzeit meiner Schwester und mir war meine Mami Kindergartenhelferin und hat sie in dem innovativen KindergärtnerInnen-Team die allerniedlichsten Püppchen mit zauberhaft lebendigen Gesichtlein kreiert. Durch diesen Job hatten auch wir dort einen Kindergartenplatz.

Zudem wurden von diesem Erzieherinnen-Kollektiv fantastische Märchenaufführungen inszeniert – mit Bühne, Kostüm und Accessoire-Erfindungen vom Allerfeinsten und Kuriosestem! Ich erlebte meine Mami als Knappen im selbst angefertigten Rüschenhemd und Federhütchen (ich hab sie als ihr Töchterlein während der ersten Aufführung gar nicht erkannt!), der dem ums Feuer tanzenden Rumpelstilzchen das lebenrettende Geheimnis ablauscht!

Eine weitere Sinnen-Oase war für mich als kleines Mädchen die Frauen der Schnittmuster-Schneidern-Lern-Gruppe im Dessauer Bauhaus, wohin Mutti uns – ihre beiden Töchter – abends mitnehmen musste, um daran teilhaben zu können.

Ich habe es geliebt und war überaus fasziniert davon, wie die jungen Frauen im regen Austausch miteinander unter der superakkuraten Anleitung der Kursleiterin mit dem hellgrünen Schnittmusterpapier raschelnd und wirkend und vorher mit Heftstichen alles fixierend … sich Dederon- oder Malimo-Sommerkleider nähten. Tja, Mamita nähte natürlich für uns zwei identische Kinderkleider mit Spitzenbesatz. Aber auch einen todschicken Schlaghosen-Overall mit Reißverschluss aus Selastik!

Aus diesem Grund weiss ich auch, in welch schrecklichem Zustand die Lichtarchitektur der Bauhausräume in den Siebzigern – und weiterhin bis in die achtziger Jahre – gewesen ist. Alles zugestopft mit schwerem Schulmobilar aus der Kaiserzeit, womit die Schneiderei lernenden Frauen schwer zu kämpfen hatten, denn die schrägen Schulbänke mit arretierter Zweiersitzbank waren mehr als ungünstig fürs Abstecken und Zuschneiden.

Während meines Basis-Kunststudiums mit den Farbe & Form-Gestaltungs-Abhandlungen von Itten und Klee in Schneeberg realisierte ich erst, WAS für ein geschichtsträchtiger Ort dieses Bauhaus in meiner Heimatstadt gewesen ist. Welch bahnbrechende Pionierarbeit dort geleistet worden war und durch den Nationalszialismus verschüttet wurde!

Ich glaube, diese glückliche Episode, als meine Mama sich der Schneiderei widmen konnte, hat es nur gegeben, da mein Vater seinen Reservedienst bei der NVA  ableistete …  Denn ich musste vom Kleinkindalter brutal miterleben, wie alles, was meine Mutter anfasste oder was sie sich anzueignen versuchte, von meinem Vater in Misskredit gezogen worden ist, verunglimpft, niederschmetternd – von ätzenden Tobsuchtsanfällen begleitet – herabgewürdigt, zerschlagen und systematisch im Keim erstickt wurde. Es gab schlichtweg nicht mal ein PlätzCHEN für ihre Nähmaschine, für so etwas wie IHR Hobby. Ihre kostbare Schneiderschere wurde kurzerhand zum Schneiden von Tapete (unter hysterischem Boss-im-Haus-Gebrüll) verwendet.

Im Kindergarten lernte ich jenen genialen und freundlichen Kinderbücher-Illustrator und Tierzeichner Heinz Rammelt kennen, der später im Majakowski-Jugendklubhaus Dessau Nord mein Zeichenlehrer werden sollte.

Ab der 4. Klasse wurde ich regelmässig von ihm (inmitten eines chaotischen Teenagerzirkels) unterrichtet, korrigiert und animiert in Naturstudium und freiem Zeichnen. Von ihm wurde ich auch weiter empfohlen in die Zeichenakademien für junge Erwachsene in Dessau.
Solcherart Anerkennung und Förderung rettete im Grunde mein Konzentrationsvermögen, denn ich führte ab dem 12. Lebensjahr ein Straßenkinddasein im verwahrloste Kriminellen-Milieu.
Mein Musiklehrer und mein Lehrer für Deutsche Literatur, die mich schätzten und zu schützen versuchten, gaben ihr Bestes, mich da möglichst wieder rauszuholen. Außerdem wurde ich vom Kulturleben der Jungen Gemeinde St. Petrus aufgefangen – als 13jährige unter TheologiestudentInnen –, wo ich meine erste Einzel-Grafikausstellung im gesamten Kirchenraum inszenierte und wir Theaterstücke u.a. von Wolfgang Borchert einstudierten und aufführten und ich mein erstes nennenswertes Gesangssolo mit dem Ave Maria beim Gemeindeabend darbot – von einer Musikestudentin am Klavier begleitet.
Meine Talent wurden überalll außerhalb bestaunt und, wenn ich Glück hatte, gefördert. Jedoch in der elterlichen Wohnung war ich nie vor den cholerischen Prügelausbrüchen, der abschätzigen Bevormundung und Zerstörungssucht meines Vaters sicher.

Daher rührt offensichtlich meine Verbissenheit, mir auf irgendeine Weise einen autonomen Raum für Kunst zu bewahren und auch die unkonventionellsten Chancen fürs freie Schöpfen auszuloten und zu teilen. Auch wenn der Platz noch so winzig ist oder nur symbolisch mittels Farbe markierbar. Denn in dem absolut irritierenden Terror- und Missbrauchs-System meines „Elternhauses“ habe ich nur als Künstlerin überhaupt überlebt und konnte dem aufgrund meiner herausragenden Begabung entrinnen.

Mit 16 Jahren – also während meiner Berufsausbildung als Schuhschaftstepperin – bewohnte ich bereits meine eigene – illegale – Wohnung, die natürlich zugleich eine Näh- und Schmuck- und Zeichnen-Werkstatt war. Die war mir durch jemanden aus dem progressiven Dessauer Kulturschaffenden-Netzwerk überlassen worden.

Welche Ausbildung bzw. Ausbildungen haben Sie dann gemacht?

Wie gesagt, meine Lehrausbildung zur Schaftstepperin habe ich in der Maßschuhmacherei von Theodor Fritsch in Dessau absolviert. Wir haben das Landestheater Dessau und auch vielfach die Hallenser Schauspielfraktionen mit Maßanfertigungen für Bühne und Tanz versorgt.
Ausserdem reisten die Star-Tänzer, Clowns, Zirkus-KünstlerInnen des gesamten Ostblocks – Bulgarien, Tschechien, Jugoslawien, Sowjetunion (mitunter sogar aus Westdeutschland) bei uns an und liessen ihre Stepptanz-Hochseil-Artistik-Langschaft-Stiefel und Bühnenschuhe absolut passgerecht anfertigen. Zudem waren wir noch spezialisiert auf orthopädische Maßschuhanfertigungen.

Das war eine tradionsreiche Handwerksmanufaktur, dessen Inhaber sich im DDR Regime eine geschäftssinnige Autonomie bewahrt hatte.  Paradisisches Schwelgen in Materialienvielfalt und deren Verarbeitung. Wir wirkten mitunter mit Werkzeugen, Knöpfchen und Leisten aus dem 18. Jahrhundert! Modellierten mit Gold und Silberleder, farbigem Lackleder!, herrlichem Köper und Seide. Unser Chef war ein Filou darin, die kleinen Schustereien und Schuhmachereien, die ihre Geschäfte in den Achtzigern aufgeben mussten, für nen Appel und nen Ei aufzukaufen.

Während der Lehre hatte ich mich für die Aufnahme an der Fachschule für Angewandte Kunst beworben (Flächengestaltung, Mode, Sticken, Klöppeln, Weben, Holzgestaltung etc.). Ich konnte es damals meinem Meister nicht verheimlichen, dass ich zur mehrtägigen Eignungsprüfung dorthin nach Schneeberg zu reisen hatte. Mit 17 hatte ich bereits die Zulassung für das Fach Bekleidungsgestaltung erhalten und von da an hat mein Chef mich nicht weiter ausgebildet, sondern nur noch im Akkord Reparaturen abarbeiten lassen (Wir haben in dieser Werkstatt instandgesetzt, was nur irgend wieder zusammenzuflicken und nutzbar zu machen möglich war!! Was ich im Nachhinein auch als eine hohe Schule für mich bis heute verbuche!).
Theodor Fritsch war bitter beleidigt, dass ich also seinen Betrieb zum Kunststudium verlassen würde, sobald ich mein Berufsschule-Abschlusszeugnis erhalten hatte – anstatt bei ihm als Gesellin zu bleiben.

Der Altgeselle in der Zwickerei und die Altgesellin in der separaten Schaftsteppereistube haben mir aber hinter seinem Rücken trotzdem noch so viel Handwerkszeug wie möglich mitgegeben.
Was ich auch als einen riesigen Wissens- und Könnens-Schatz bis heute ausschlachte, und als ewige Forscherin weiterentwickle.

Während ich davon berichte, fliegt mir ein Merkzettel zu, den ich seit Urzeiten aufbewahrte: „Ein Paar Schuhe muß ausgewogen sein wie zwei Seiten einer Gleichung und millimetergenau justiert wie ein Uhrwerk.“ Andre Perugia in Linda O´Keeffes „SCHUHE – Eine Hommage an Sandalen, Slipper, Stöckelschuhe“.

Noch während DDR-Zeiten waren Sie zu Arbeits- und Studienaufenthalten im „Westen“. Das war doch in dieser Zeit etwas ganz Besonderes?

Ich habe die DDR bzw. Ostberlin per Ausreisestempel am 28.9.1989 mit 2 Koffern am Grenzübergang Friedrichsstrasse für immer verlassen. Glücklicherweise hatte ich die Chance, meinen elementaren Künstlerinfundus, als „Geschenke“ vor den DDR Behörden getarnt, paketweise zu einem Freund nach Westberlin zu schicken.

Als am 9. November 89 die ersten PassantInnen aus Ostberlin in das Kreuzberger Nachtleben sickerten, hatte ich gerade mal eine Adhoc-Hochzeitsreise an die portugisische Atlantikküste hinter mir (Ich war „rausgeheiratet“ worden, was bedeutete, das ich keinen politisch begründeten Ausreiseantrag hatte stellen und absitzen hatte müssen). Und ich hatte die allerersten Einbürgerungsprozeduren in Westberlin – wobei sich massenhaft über Ungarn ausgeflogene Ostdeutsche in den Marienfelder Warteschlangen und Notaufnahmeunterkünften wiedertrafen – notdürftig bewältigt.

1990 bin ich als Erfolgreichste der Eignungsprüfung im Fach Malerei/Bühnenbild in Berlin Kreuzberg an der „Etage“ aufgenommen worden. Bei meinem wundervollen Lehrer Rogér David Servais habe ich auch als Hochschwangere und mit neugeborenem Säugling im Tragetuch weiterstudiert und gemalt um mein Leben. Am 29.9.91 hatte ich meinen Sohn Béla Lupe zur Welt gebracht.

Von da an hatte ich alles mit ihm auf der Hüfte oder auf dem Arm oder der Schulter … als alleinerziehende Mama und Künstlerin zu stemmen, mein Kunstschaffen dem Durchbringen des Kindes unterzuordnen oder es möglichst organisch damit zu verweben.

Meine Eignungsprüfung in Amsterdam an der Rietveld Academie, wo die DozentInnen-Kommission meinen Arbeiten allergrössten Beifall zollte, zelebrierte ich, ohne Béla Lüpchen weggeben zu können. Die Übersiedlung zum Studium an die Akademie der Bildenden Künste in München, das Unternehmen „Amaranthas Salon“ bei meiner Rückkehr nach Berlin Prenzlauer Berg (Kunstsessions für und mit Göttin, Gott und der Welt in der eigenen Wohnung), alle Konzert-Performance-Ausstellungsprojekte, die generationsübergreifenden Kreativ- und Textilkunst-Kurse hatte ich mit dem Kleinkind und heranwachsenden Jungen bis Jugendlichen zu meistern.

Aus der Parellelwelten-Situation lassen sich auch meine Einerseits-Andererseits-Schmuckstücke übersetzen. Seit meiner Jugend leide ich unter fortwährender Doppelsichtigkeit. Daher rührt das Verlangen, EINE Sache rundum so vollkommen zu machen, dass Mensch nicht etwa, wenn er/sie dahinterschaut, auf eine hässliche unansehnliche Seite/Saite stößt. Auch verschaffte mir die Kunst die Erlösung, in der bedingungslosen Konzentration das „andere“, das zweite Bild vergessen zu können.

Broschen und Ohrringe sind beidseitig tragbar, meine Wendehandtaschen sind – mit dieser oder jener Seite nach außen gekehrt – zweifach zu benutzen, ein Großteil meiner Bilder und Raumteiler ist zweiseitig gestaltet – dürfte also von jeder Seite sichtbar präsentiert werden.

Es ist so, dass ich verschiedene Phasen durchlebte und durchlebe, in denen der Schwerpunkt zwar auf einem bestimmten Bereich liegt, jedoch die anderen Künste wie Schmuck, Stickerei und Nähen in die Malerei und das Bildhafte hinein fliessend damit einhergingen – und andersherum, es existieren etliche Reihen von Broschen und Ohrgehängen, in die meine Zeichnungen und lackierte Papierfarbgestaltungen intergriert sind. Es gibt Raumobjekte aus Papier, Folie, Fäden und Textil, die ich systemisch mit der Nähmaschine erstellt habe. Meine Lyrikbände sind durchschritten von meinen Schwarz-Weiss-Zeichnungen … Am bedingungslosesten sind alle Künste miteinander vereint in meinen gestickten Grafik-Collage-Karten und Leporellos.

In der Presse werden Sie gern ein „Multi-Talent“ genannt: Gesang, Lyrik, Performance, Experimentelle Wassergläsermusik, Schmuck & Gerät, Textil & Kostüm, Malerei & Grafik gehören zu Ihren vielfältigen Talenten. Würden Sie uns zu einigen dieser Talente etwas erzählen?

Gewisse Phasen haben gewisse Prioritäten und oder haben bestimmte Ausdrucksformen erst hervorgebracht. Als sich das Schreiben intensivierte, drängte es sich wiederum direkt in die bildnerischen Werke hinein … Wobei ich auch immer pendelte zwischen naturgetreuem Ab- und Aktzeichnen und ganz freiem schwungvollen abstrakten Schaffen. Zwischen Akribie und Abenteuer … Das ist aber kein beliebiges Geswitche, sondern jedes Werk kann nur unwiederbringlich in seiner Zeit, seinem Raum hervorgebracht werden.

Da dies ein Interview für das Textile Art Magazine ist, erzählen Sie uns von Ihren textilen Arbeiten und zeigen uns vielleicht ein paar Bilder?

Hin und wieder hatte ich seit der Projektgründung durch Frau und Herrn Wolters mit eigenen Ständen und in der Turnhalle Großobjekte-Schau an der Textile Art Berlin teilgenommen und habe zwei Highlights aufs Parkett gelegt.  Das war eine Modenschau meiner Upcycling- und Accessoire-Kollektion in der Schule am Südstern und eine im Phorms Campus – beide Male von der Modekollegin Pia Fischer eingeladen. Hierbei schwebten und gongten die Models und ich selbst u.a. mit textilen Fahnen und Tuch-Objekten an Bambusstangen innovativ über den Laufsteg.

Ich habe aber auch eigenständig, ohne dass Textile Art als Motto extra proklamiert war, Zeit meines Lebens Textil und Mode, insbesondere Upcycling kultiviert und in alle möglichen Ausstellungs- und Kulturprojekte mit eingebunden. Bei mir sind Angewandte und Bildende Kunst permanent miteinander verquickt.

Ich bin als „I pimp your clothes“-Servicedame in der Lage, Kleidungsstücke „einfach“ wieder restaurativ herzustellen, so dass Mensch von Reparatur nichts sieht, aber ich drifte auch gern in absolut freizügige Schöpfungen ab, so dass das Kostüm ein Kunstwerk für sich im Raum ist ohne eine/n Träger/in darin.

Während der Pandemie-Ruhestrecken bin ich dahin gelangt, meine Kollektion der Passbörsen wieder aufzugreifen, die ich ab 2002/2003 schon einmal zelebrierte. Als kaum noch Gepäck im Flieger erlaubt wurde, inspirierte mich dieser Umstand zu winzigen persönlich-poetischen Täschchen, in die der Reisepass hineinpasste, ein Lippenstift und ein Kämmchen … Anhand deren umfangreicher Herstellung ich damals auch WorkshopschülerInnen und Praktikantinnen in meinem Atelier in Textilkunst unterwies.

Also ein gleichbleibendes Format in immer neuen Ausführungen der Farb-, Textur- und Detailgestaltung. Jetzt sind es Maske+Pass-Börsen. Dieses manufakturelle Arbeiten in Reihungen kann etwas sehr Meditatives und Erdendes haben.

Im Vorjahr hatte ich Mund- und Nase-Masken – dezent oder farbenprächtig – mit mannigfachen  Stickereien in Kleinserie hergestellt. Bis nur noch FP2-Masken erlaubt waren.

Mit welchen textilen Techniken arbeiten Sie bevorzugt?

Patchworken, Applizieren, Perlen- und Knopflochstickerei, Bildnerisches Sticken.

Kombinieren Sie zum Beispiel auch Textiles mit anderen Künsten?

Das ist ein ständiges organisches Miteinander, es kombiniert und verknüpft sich wie geschildert von selbst.

Wie haben Sie die Zeit Pandemie und des Lockdowns erlebt? Hat diese Zeit Ihnen Raum für neue Werke und Inspiration gegeben oder fehlte Ihnen die Interaktion mit Ihrem Publikum?

Ich habe eine vierjährige leibliche Enkeltochter und eine Bonus-Enkelin, ein halbindonesisches Mädchen, das im Oktober 8 wird.

Mit diesen beiden, besonders mit der kleinen Matilda Margareta, habe ich immer schon gemalt, Perlen gefädelt, genäht, gestickt und Collagen gestaltet. Während der Pandemie war ich intensiv für ihre Betreuung während der Kita- und Schulschließungen gefragt, was wir mit viel freiem Gestalten ausfüllten.

Ich bin sehr glücklich und dankbar, dass ich diese beiden Mädchen mit solchen Grunderlebnissen und Fertigkeiten der künstlerischen Freizügigkeit in meinem Atelierraum füttern kann. Und es macht mich stolz, dass ich trotz ewigem Mobbing in diesem Wohnhaus dieses Mini-Matriarchat „Studio K.Li“ mit seinem prachtvoll-poetischem Bürgersteig-Garten erhalten konnte – dank des Zuspruchs und der Hilfe durch meinen Förderkreis!
Die Tochter meines Sohnes zeigt eine ganz besondere Aufnahmebereitschaft für die Schulung durch mich im Sticken und Nähen. Dieses Matildchen konnte noch nicht einmal richtig laufen, da saß sie bereits auf meinem Schoss konzentriert mit an meiner Nähmaschine, operierte mit Farbfäden und Nadeln und wollte ununterbrochen voller Hingabe mit ihren winzigen Händchen mit der Schere hantieren.

Inzwischen nähen wir gemeinsam – nahezu manufakturell 😉 – Collage-Klapp-Karten. Zum Geburtstag bekommt sie von mir eine voll funktionstüchtige Kindernähmaschine!
Auch sind beinahe all die fabelhaften, farbintensiven  Acrylfarbe-Objekte und Sticker-Collagen-Gemälde der vergangenen 3 Jahre mit ihr gemeinsam entstanden.

Die Kulturbereisung und Betriebsamkeit, die Berlin während und nach der Wende belebt und verschönt hat, ist – besonders in unserer gegend am Mauerpark – zu einem geradezu tödlichen Ballermanntourismus avanciert. In meiner berühmten Oderberger Strasse hat das verlärmende und vermüllende Kneipengewerbe von jedem Winkel und jedem Gehörgang Besitz ergriffen. Von daher bin ich persönlich dankbar dafür, dass die Pandemie dieser Totalokkupation, respektlosen Invasion und zerstörerischen Ausschlachtung eine ungeahnte Episode lang Einhalt geboten hat. Ich weiss von vielen AnwohnerInnen, dass es ihnen ebenso erging. Den Bäumen und Pflanzungen, mir und den NachbarInnen war eine Zwangserholung vergönnt. Davon, dass ich mich hier einmal so ungestört, frei vom Dauerlärmpegel bis in die frühen Morgenstunden hinein Nacht für Nacht meiner künstlerischen Arbeit  widmen konnte, hatte ich schon nicht mehr zu träumen gewagt.

Dieser Überflutung und übergriffigen Billig-Vergnügungs-Gier habe ich mich und meine Schau-Räume immer weniger geöffnet und lieber die Kultur der verabredeten Atelierbesuche proklamiert.

Dass die Textile Art Messe letztendlich nur online ermöglicht werden konnte, hat mich sehr betrübt, denn meine Stücke brauchen doch mit ihrer Haptik und Schwingung den Live-Kontakt zum Publikum.

Glücklicherweise konnten im Mai 2020 und Mai 2021 gerade noch so oder gerade wieder so das vom Berliner Senat geförderte Artspring Festival stattfinden. KünstlerInnen im Prenzlauer Berg, in Weißensee, Pankow öffnen ihre Ateliers für Publikum. Das ergab sehr schöne Erlebnisse mit den wahrhaft kunstinteressierten und wertschätzenden BesucherInnen.

Auf meiner Webseite www.klarali.de im „Archiv“ finden Interessierte auch viele Zeugnisse aus alter Zeit, die mittlerweile nicht mehr direkt an der Oberfläche lagern.

Das Portraitfoto von Klara Li ist von Russ Smith.