Portraits & Interviews

Interview mit Isabelle Cellier

Die französische Textilkünstlerin schafft Kunstwerke, die an einen bestimmten Typ christlicher Darstellungen aus dem Nahen Osten, vor allem die koptische Kunst, erinnern. Vielleicht schöpfe ihre Arbeit auch aus einer poetischen Sicht von Vagabundentum und Zirkus erzählt sie im Interview. Hier erzählt sie auf sehr spannende Weise von ihrem Werdegang und und dem Schöpfungsprozess.

Zu welchem Zeitpunkt in Ihrem Leben hat die Textilkunst erstmals Ihre Fantasie gefesselt?

Ich weiß nicht, ob es einen bestimmten Punkt in meinem Leben gab, ab dem mich die Textilkunst ganz konkret gefesselt hat. Eher haben mich seit meiner jüngsten Kindheit Fäden und Garne begleitet. Ich bin die Tochter eines Textilingenieurs und seit meiner Kindheit war Faden zu Hause präsent. Vor allem war er für mich immer greifbar. Soweit ich mich zurückerinnern kann, habe ich immer mit Faden gewerkelt, entweder indem ich alles Mögliche zusammengenäht oder gewebt oder gezeichnet habe, wobei die Nadel zum Stift wurde. Die Wiederholung des elementaren Vorgangs, den Faden durch den Stoff zu ziehen, war mein häufigster Zeitvertreib, wahrscheinlich eine Möglichkeit, die Langeweile zu bekämpfen oder sogar, meinem Leben einen Sinn zu geben.
Ich habe zwar den Faden zu einem nicht wegzudenkenden Teil meines Lebens gemacht, bin aber nicht imstande, ein Kleidungsstück zu nähen.

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Beschreiben Sie Ihre Entwicklung auf dem Weg zur Textilkunst (künstlerische oder andere Ausbildung?)

Ich habe zunächst an der Universität Lille, dann in Paris bildende Kunst studiert. Das ist ein recht generalistisches Studium, bei dem es um Praxis, ästhetische Theorie und Kunstgeschichte geht. Techniken wurden nicht unterrichtet, ja negiert. Jeder musste durch freien Ausdruck und persönliches Experimentieren seinen Weg finden. Ich habe einen autodidaktischen Ansatz in Sachen Textil. Ich habe nie in einer Schule gelernt, sondern mir meine eigene Schulbank geschaffen. In den Jahren 1990/2000 habe ich anfänglich recht rohe und grobe textile Skulpturen aus Jute und Fasern geschaffen. Und dann bin ich eines Tages in den Besitz einer großen Menge bedruckter Stoffe gelangt und meine Arbeit hat sich komplett verändert. Es sind Figuren und nach und nach ein persönliches plastisches Universum entstanden, dass eher träumerischen Charakter hat.

Mit welchem Medium drücken Sie sich aus. Gab es vorher andere?

Das Zeichnen hat bei mir immer viel Raum eingenommen. Ich habe viel mit Kohle und Tusche gezeichnet und Radierungen gemacht. Während meines Studiums der bildenden Kunst habe ich gern mit unterschiedlichen Techniken gemalt: mit Öl-, Acryl- und Pastellfarben. Als nach meinem Studium Textiles wieder in mein Universum eingetreten ist, habe ich angefangen, durch Zusammennähen von Teilen Skulpturen herzustellen.

Welche Techniken nutzen Sie?

Ich würde gerne „alle“ antworten, „ein wenig“ und auf konventionelle Weise. Ich springe gern von einer Technik zur anderen und mische. Das führt meist zu einem überraschenden Ergebnis. Ich werde oft gefragt: „Wo kommt denn diese Technik her?“ Im Englischen gibt es dafür den Ausdruck „mixed media“, das ist sehr praktisch!
Technik ist für mich kein Selbstzweck und noch weniger ein Weg, beim Publikum Eindruck zu schinden. Ich sehe Technik als ein Mittel im Dienste einer Erzählung, nicht im Sinne einer bestimmten Geschichte, sondern eher mit der Absicht, ein bestimmtes Gefühl verbunden mit einem „Déjà vu“ auszulösen. Ich vermittle gern den Eindruck, dass meine Arbeiten aus einer anderen Epoche, einer anderen Zeit kommen, aber dennoch unmöglich zu datieren sind: eine verlorene und wiedergefundene Zivilisation. In diesem Sinne wecken die Techniken, die ich einsetze (Perlen, Stickerei etc.) auch die Erinnerung an eine Vergangenheit, in der man sich die Zeit nahm, Dinge zu schaffen.

Was ist typisch für Ihre Arbeiten, wie würden Sie sie beschreiben?

Ich kann ein paar wiederkehrende Themen in meiner Arbeit benennen, sie aber nicht wirklich erklären:

  • Ich erzähle gern Geschichten, ohne ein Wort zu sagen, eine Form der stummen Erzählung;
  • es gibt immer Gesichter, wiederkehrende Portraits;
  • ein sakraler, manchmal fast totemistischer Charakter der Figuren;
  • Theatralität und Besetzung des Raums: Zusammenstellungen, die an Paraden erinnern;
  • Geziertheit, reicher vergangener Prunk

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Wer oder was hat Sie besonders beeinflusst?

Ich habe große Schwierigkeiten dabei, meine Einflüsse zu entwirren, da sie sehr verschachtelt und durchmischt sind. Dennoch glaube ich, dass mich zumindest unbewusst ein bestimmter Typ christlicher Darstellungen aus dem Nahen Osten, vor allem die koptische Kunst, beeinflusst hat. Vielleicht schöpft meine Arbeit auch aus einer poetischen Sicht von Vagabundentum und Zirkus, die für mich in Fellinis Film La Strada zum Ausdruck kommen, der mich sowohl emotional als auch ästhetisch stark geprägt hat.

Was inspiriert Sie?

Worte, Literatur und Poesie öffnen mir Türen zur Kreativität und sind für mich auslösend.

Könnten Sie Ihren künstlerischen Schaffensprozess beschreiben?

Ich hätte Lust, ein wenig provokant zu sagen, „das kommt von ganz allein“. Dennoch sehe ich mich keineswegs als kreatives Genie. Ich habe eher ein bisschen Komplexe, wenn ich andere Künstler sehe, die ihre Schaffensprozesse präzise beschreiben können. Ich schaffe häufig Serien oder thematisch verbundene Werke. In diesem Falle ist ein poetischer oder literarischer Text der Auslöser, der mir ein neues Universum eröffnet, eine Art Traumlandschaft, in die ich mich hineinversetze. Dann grabe ich in meinen textilen Schätzen und suche Stoffe, Borten und Accessoires, mit denen ich meiner Träumerei Form geben kann. Meist geht das Zerschneiden und Zusammensetzen der Textilien sehr schnell, als würde meine Hand von ganz allein arbeiten, ohne vom Verstand geschulmeistert zu werden. In dieser Phase der Arbeit gibt es kein Zögern, das Ziel ist ganz klar, als sei alles bereits vorgezeichnet. Wie in der Austreibungsphase einer Geburt drängt das Werk heraus. Die darauf folgende Phase läuft dagegen viel langsamer und überlegter ab. Dabei werden die Figuren und Bilder veredelt und reich verziert. Schließlich wird das Werk fertig gestellt und die Rückennaht geschlossen, die den mechanischen Teil verbirgt, also die Fäden, die die textilen Teile zusammenhalten. Hier verlangsamt sich der Rhythmus der Arbeit noch einmal und die Technik gewinnt in gewisser Weise die Oberhand. Das ist für mich häufig ein ganz paradoxer Augenblick, an dem ich einerseits in Bezug auf die fertige Arbeit eine gewisse Ermattung verspüre (beispielsweise die Angst, eine falsche Falte zu machen) und anderseits ungeduldig darauf warte, an einem neuen Stück weiterzuarbeiten, als würde das fertige Werk bereits das nächste hervorbringen.

Gibt es Künstler, die Sie als Vorbilder sehen würden?

Ich würde nicht von Vollbildern in dem Sinne sprechen, dass es ein Werk gäbe, das ich gern reproduzieren würde, aber natürlich gibt es Künstler, die mich stark geprägt haben.

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