Portraits & Interviews

Interview mit Joyce Petschek

Im American Museum in Bath, England, ist noch bis zum 29. Oktober 2017 eine Ausstellung mit Werken der berühmten amerikanischen Textilkünstlerin Joyce Petschek mit dem Titel „Breaking the Pattern“ zu sehen. Ich konnte die Ausstellung mit großartigen Bargello-Stickereien sehen und habe die Künstlerin um ein Interview gebeten.

Wann sind Sie erstmals mit der Herstellung von Textilien in Berührung gekommen?

Mein Wissen über Textilien stammt aus meiner Kindheit, denn mein Elternhaus war mit edlen Textilien dekoriert, viele davon aus Seide. Meine Mutter war eine bekannte New Yorker Innenarchitektin. Die New Yorker Stoffhändler lernte ich mit der Zeit gut kennen. Für seidenes Stickgarn habe ich mich entschieden, da ich den besonderen Glanz, die Farben, Leuchtkraft und Haltbarkeit kannte.

Haben Sie eine textile Ausbildung?

Ich habe an traditionellen amerikanischen Universitäten studiert. Am Vassar College habe ich meinen BA erworben, an der Ratcliffe University meinen MA gemacht. Mein Hauptfach war Kunstgeschichte. Dank meines fotografischen Gedächtnisses konnte ich mir die einzigartigen Farbpaletten außergewöhnlicher Künstler aus unterschiedlichen Kulturen einprägen, vor allem die seltsamen farblichen Zusammenstellungen, die ich in italienischen Gemälden gesehen habe. Nach meinem Abschluss erhielt ich vom Vassar-College das Elinor-Townsend-Stipendium zum vertieften Studium der Kunstgeschichte.

Welchen Themen galt Ihr größtes Interesse, bevor Sie sich der Stickerei zuwandten?

Neben der Kunstgeschichte galt meine Faszination der Welt der Träume. Mein Interesse galt nicht der Analyse persönlicher Träume, sondern der Untersuchung psychischer Träume, wie von Wachträumen, außerkörperlichen Erfahrungen wie Fliegen, Astralreisen, Heilen, Todesträumen etc. Zu diesen Phänomenen habe ich eine umfangreiche Dia-Sammlung aus der Kunstgeschichte und aus Märchen zusammengestellt, um die in Vorträgen benutzten Traumbilder illustrieren zu können.

Ist die Stickerei ihre bevorzugte Ausdrucksweise? Mit welchen Materialien arbeiten Sie am liebsten?

Gestaltung mit der Nadel und Sticken waren immer meine bevorzugte Ausdrucksform.  Im Grunde habe ich mir alles selbst beigebracht. Ich habe mit viele Anregungen aus Stickerei- und Handarbeitsbüchern geholt und damit experimentiert. Heute habe ich eine sehr umfangreiche Sammlung solcher Bücher. Ich habe viele Techniken und Stickstile gelernt und gleichzeitig mit verschiedenen Garnen experimentiert. Dabei habe ich Stick- und Strickgarne verwendet, um bestimmte visueller Effekte zu erzielen. Seit zehn Jahren verwende ich für meine Stickereien allerdings ausschließlich Garne aus 100 Prozent Seide, die ich von meinen Reisen in alle Welt mitbringe.

Wie haben Sie Ihren persönlichen Stil entwickelt, haben Sie viel experimentiert?

Mein persönlicher Stil begann mit Bildern, die ich in meinen Träumen gesehen habe. Abbilder von Gegenständen oder Szenen zu sticken, hat mich nie interessiert. Designs mit vielen Mustern haben mich fasziniert. Mir war immer bewusst, dass die visuelle Wirkung mit intensiven und einzigartigen Farbzusammenstellungen zu tun hatte.  Auf der Grundlage meiner Beschäftigung mit dem Farbsymbolismus vieler Kulturen habe ich eine eigene Sprache entwickelt, um die Bedeutung meiner Stickdesigns zu verdeutlichen. Daher beinhaltet jedes Design neben komplexen Mustern auch ein Thema oder eine Geschichte. Ganz in der Tradition der Mythen und Märchen will ich in meiner Arbeit eine unterschwellige Botschaft vermitteln, nicht nur eine bestickte Fläche mit Mustern und Farben. Das besondere Thema hinter jedem Design soll auf intuitiver Ebene erfasst werden.

Sie begeistern sich für den Bargello-Stil, wie ist es dazu gekommen?

Ich finde Bargello-Muster sehr raffiniert in ihren rhythmischen Variationen und ihrer Struktur. Sie haben eine Eleganz und ein Drama, das die meisten Nadelarbeiten nicht haben. Die Attraktivität von Bargello-Mustern hat daher einen femininen und einen maskulinen Aspekt.

Bargello ist eine Technik, die individuellen kreativen Ausdruck ermöglicht. Es geht nicht um die Kopie von Bildern oder Fotos. Die Wirkung hängt von den Farbvariationen ab, die zur Betonung rhythmischer Muster eingesetzt werden. Traditionell bestanden Bargello-Designs aus sich wiederholenden Mustern. Ich war daran interessiert, diese traditionelle Technik zu benutzen, das Muster aber aufzubrechen. Ich bin überzeugt, dass wir in unserem Leben unbedingt versuchen müssen, Verhaltensmuster aufzubrechen. Sowohl meine Meditationsübungen als auch das Studium der Fraktale haben meine Philosophie und meine Kreativität ganz wesentlich beeinflusst.

Für mich hat Bargello etwas sehr Mathematisches, was würden Sie sagen?

Mir waren die mathematischen Wirkungen von Bargello-Mustern bewusst. Deshalb habe ich Muster mit unterschiedlichen mathematischen Proportionen entworfen. Oft habe ich dieses Wissen genutzt, um absichtlich harmonische Designs zu schaffen, in anderen Fällen habe ich bewusst Disharmonie erzeugt. Diese unterschwellige mathematische Ebene koordiniere ich immer mit dem Thema des jeweiligen Designs. Auf intuitiver Ebene überrascht es mich nicht, wenn jemand sagt: „Ich höre verschiedene Formen von Musik in Ihren Designs.“

Viele sagen, dass beispielsweise Handquilting etwas Meditatives hat. Würden Sie dasselbe für das Sticken Ihrer Muster sagen?

Ich glaube, dass jede kreative Arbeit (sei es nun Sticken, Quilten, Malen usw.), die allein und in Stille getan wird, wie Meditation wirkt. Meiner Erfahrung nach treten die persönlichen Schwingungen eines jeden in eine andere Sphäre ein, in der jeder Einzelne unbekannte Gedanken und neue Techniken empfängt. Diese Art intuitiven Wissens ist inspirierend und unterscheidet sich stark von unserer normalen verbalen Kommunikation mit anderen.

Für mich sieht es so aus, als erforderten Ihre Designs eine Menge sorgfältiger Planung. Zeichnen Sie Ihre Muster auf Papier vor?

Meine Designs sind ganz intuitiv, weder zeichne ich sie auf Papier vor, noch nutze ich einen Computer. Der kreative Prozess folgt den Mustern und Farben, die ich in meinen Träumen sehe. Beim Erwachen erinnere ich mich deutlich an diese potenziellen Designs. Dann beginnt die Umsetzung dieser Bilder. Der Inhalt dieser Designs fügt sich in das ein, worüber ich schon lange nachgedacht habe. Wenn das Projekt ein Möbelstück betrifft, dann inspiriert mich oft ein ungewöhnlicher Stoff. Wenn ich mit einem neuen Projekt beginne, dann wähle ich immer zuerst das Seidengarn, die Farbpalette wird durch meine Finger und nicht meinen Kopf ausgewählt. Dann beginne ich mit der Nadel in der Hand auf einem leeren Stück Stoff zu sticken, wie ein Maler seinen Pinsel oder ein Schriftsteller seinen Stift zur Hand nimmt oder ein Komponist sein Instrument spielt.

Was inspiriert Sie?

Meine Inspiration kommt aus Ereignissen in meinem Leben, aus Quellen, die neue Ideen hervorbringen, Geschehnissen, die meine Philosophie über die gegenwärtigen Gedanken hinaus erweitern. Zu meinen Interessen gehören Ausstellungen in Museen, Reiseerfahrungen, ständiges Lesen, interessante Gespräche … Neben Träumen bringen solche Interaktionen meiner Ansicht nach neue Ideen, die später zu Themen in meinen Mustern werden. Bei diesem Prozess wird die unterschwellige Ebene in die Realität gebracht und ich bin immer wieder überrascht über die Designs, die dann entstehen.

Wo sehen Sie sich künstlerisch in fünf Jahren?

Das ist eine schwierige Frage für mich, da ich der Überzeugung bin, dass die einzige Zeit, die wir haben, das „Jetzt“ ist und dass Prognosen für die Zukunft nicht funktionieren, da die Energie sich zerstreut. Aus Heute wird Morgen, nur soweit würde ich überhaupt gehen. Ich kann aber ohne jeden Zweifel sagen, dass meine umfangreiche Seidensammlung mich noch viele Jahre lang inspirieren wird. Und dass mein Bedürfnis, kreativ tätig zu sein, ein integraler Teil von mir bleiben wird, dass mein Interesse an vielfältigen Dimensionen fortbestehen wird und dass es ein wesentlicher Teil meines Lebens bleiben wird, meine Kreativität zum Ausdruck zu bringen. Ich bin mir auch sicher, dass die nächsten fünf Jahre unbekannte Möglichkeiten und ständige Überraschungen bringen werden, die meine kreativen Unternehmungen fördern und erweitern und damit auf mich und andere wirken werden.

Alle Bilder: ©JoycePetschek.BargelloArts

Website:
www.bargelloarts.com

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