Portraits & Interviews

Kleidergeschichten Teil 4 – die Geschichte von Waltraud

Ich heiße Waltraud und bin Jahrgang 1935. Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Dorf in Rheinland-Pfalz. Meine Mutter hatte eine Hauswirtschaftsschule besucht und konnte recht gut nähen. Mein Vater, der Dreher war, ist im Krieg gefallen. Eine meiner ersten Erinnerungen aus der Kinderzeit hat mit meiner Schildkröt-Puppe zu tun. Zum Kriegsende wurde unser Dorf von französischen Truppen besetzt, und wir mussten Hals über Kopf aus unserem Haus raus. Als wir zurückkamen, war alles verwüstet und auch meine Puppe war regelrecht zerstört. Ich habe nie wieder eine andere bekommen.

Ich kann mich nicht erinnern, als Kind jemals etwas Eigenes, speziell für mich Gemachtes besessen zu haben. Als kleines Mädchen hatte ich ein (gebrauchtes) blausamtenes Sonntagskleid, das immer wieder geändert wurde, damit ich es lange tragen konnte.

Als ich 8 war, bekam ich ein ebenfalls getragenes Kommunionskleid geschenkt, dieses wurde
später als Sonntagskleid umgearbeitet, wuchs auf die selbe Weise mit und hielt noch sechs Jahre
lang durch …

Mit dem Nähen habe ich bis heute nicht viel im Sinn, aber Stricken konnte ich gut.
Eine, wohl mehr im Rückblick, sehr lustige Erinnerung ist die an meine selbst gestrickte Unterwäsche (so genannte Liebestöter mit Bein). Meine Mutter hatte beim Hamstern dünne Wolle ergattert, daraus mußte ich mir in Ermangelung anderer Wäsche Unterhosen (!) stricken. Heute ist das unvorstellbar. Während ich in der Schule war, kontrollierte meine Mutter das fast fertige Werk. Sie befand es als zu kurz geraten und strickte der Wärme halber noch ein paar Zentimeter dran.

Ich hatte mir auch einen türkisfarbenen Pullover gestrickt, auf den ich sehr stolz war. Um ihn nach der Wäsche rasch wieder tragen zu können, habe ich ihn grad über die Kochmaschine zum Trocknen gehängt. Leider fiel er unbemerkt herunter, brannte an und hatte ein riesiges Loch im Vorderteil.

Überhaupt konnte man viele Dinge in der Nachkriegszeit nur durch so genannte Hamsterfahrten ergattern. Man wußte vorher nie, was man bekam. Mein späterer Stiefvater machte aus meinem alten Schulranzen Sandalen für meine Mutter und mich – zwei einfache Lederriemen mit Sohle und kleinen Schnallen zum Schließen. Als meine Mutter bei einer ihrer Hamsterfahrten mit einer Bauersfrau verhandelte, hatte diese nur Interesse an eben diesen Sandalen, die meine Mutter prompt auszog und der Bäuerin für einen Sack Mehl überließ.

Später im Jahr habe ich für meine Mutter ein Paar (wirklich hässliche) Hausschuhe aus Papierschnur geflochten, die sie, da es nichts anderes gab, auch trug. Auch Einkaufstaschen wurden aus dieser Schnur geknüpft, ein fürchterliches Geknottel! Schuhe waren ohnehin ein großes Problem. Ich war für meine Zeit als Mädchen mit 1,70m recht groß und hatte zu allem Übel auch noch Schuhgröße 40! Da gab es nur ein paar nicht sehr schöne Männersandalen.
Aber meinen Freundinnen ging es auch nicht viel besser und darum fiel es nicht so sehr auf. Dazu trugen wir zusammengerollte Söckchen, denn richtige Strümpfe waren ein unvorstellbarer Luxus in dieser Zeit.

In einem bitterkalten Winter nähte meine Mutter mir eine warme Hose aus einer karierten Wolldecke. Die trug ich dann auch zum Kirchgang. Als der Pfarrer mich damit entdeckte, wurde ich postwendend nach Hause geschickt, mit den Worten, es schicke sich nicht für ein Mädchen, eine Hose zu tragen.

Als ich ein junges Mädchen war, waren Trägerröcke sehr beliebt, einfach aus dem Grund, weil sie mitwachsen konnten, indem man die Träger verlängerte.

In den frühen 50er Jahren bekam mein Stiefvater, der bei der BfA angestellt war, die Möglichkeit, beruflich nach West-Berlin zu wechseln. Dort fand auch ich Arbeit als Stenotypistin. Von meinem ersten Geld kaufte ich mir richtig schöne Schuhe und Strümpfe, später dann einen Pelzmantel aus so genanntem Toscana-Lamm.

Die Mode der 50er Jahre finde ich auch heute noch schön und kleidsam. Es war eine Zeit des Aufbruchs – ein Neuanfang. Vielleicht nicht unbedingt besonders bequem, aber neu! Ein neues Leben mit neuer Kleidung. Alles selbst ausgesucht und mit bestimmten Vorstellungen verbunden. Das ging wohl den meisten Menschen in dieser Zeit so. Die Sehnsucht nach neuen Dingen.

Anfang der 60er Jahre ließ ich mir von einer Schneiderin ein sehr schönes Kleid nähen, aus Pikee-Stoff mit blauen Blumen. Es hatte Spaghetti-Träger und einen weiten Rock. Dazu gab es ein Bolerojäckchen. Aus den Stoffresten wurde noch ein Kleidchen für meine ältere Tochter genäht. Seit den 60er Jahren konnte ich dann endlich Hosen tragen, am liebsten Steghosen.

Hosen trage ich auch heute noch sehr gern. Mit Mitte 60 hat mich meine Tochter ermutigt, es auch mal mit Jeans zu versuchen, obwohl ich Bedenken hatte – in meinem Alter!
Jetzt liebe ich Jeans in allen Varianten, nur mit den „dazu gehörigen“ Sportschuhen kann ich mich nicht anfreunden. Mittlerweile trage ich sogar Jeanshemden (ein Geschenk von meiner Tochter zum 70. Geburtstag) und finde es großartig! Mir gefällt es gut, dass Mode heute unkompliziert und nicht mehr „altersgebunden“ ist.