Portraits & Interviews

Regine Gottschalk bei IsA-K

IsA-K (Integration statt Ausgrenzung – Kleiderwerkstatt) ist eine Beschäftigungs- und Beratungsstelle für straffällige Frauen zur Tilgung von gerichtlichen Auflagen und Geldstrafen durch freie Arbeit. Die Ziele der Arbeit sind die Haftvermeidung oder die Haftverkürzung.
Zielgruppe der niedrigschwelligen Einrichtung sind von Inhaftierung bedrohte oder inhaftierte Frauen, die ihre Geldstrafe nicht zahlen können und die in ihrer Arbeitsfähigkeit sehr eingeschränkt sind.
http://www.awo-mitte.de/index.php/isa-k-freie-straffaelligenhilfe-fuer-frauen

Wie bist Du zu IsA-K gekommen?
Regine Gottschalk: Im Jahr 2001 war in der Berliner Morgenpost ein Artikel über diese Einrichtung der AWO. Gesucht wurde eine ehrenamtliche Schneiderin oder Lehrerin. Da ich beides so ein bisschen bin oder war, dachte ich, dass ist vielleicht eine Sache für mich. Ich habe dann einen Termin ausgemacht – damals war ich noch berufstätig. Ich habe allerdings relativ schnell herausgehört, wenn ich Feierabend habe, dann ist dort auch Feierabend, so dass da nichts ist mit ehrenamtlicher Arbeit. Deshalb waren sie ein bisschen enttäuscht, ich eigentlich auch  – aber das war eben so. Ich bin 2004 krankheitsbedingt vorzeitig in Rente gegangen. Ich dachte mir, dass ich ja jetzt Zeit haben würde. Deshalb habe ich dort noch einmal nachgefragt. Und siehe da, sie haben fast auf mich gewartet. Ende Februar hatte ich meinen letzten Arbeitstag, abzüglich Resturlaub. Und mit Beginn meines Resturlaubs habe ich dort schon angefangen. Seit Februar 2004 arbeite ich dort ohne Pause. Das war der Anfang.

Würdest Du mir das Konzept von IsA-K beschreiben?
Die AWO hat in der Prinzenallee ein Projekt, das nennt sich „IsA-K“, Integration statt Ausgrenzung, und das angehängte K bedeutet Kleiderkammer. Die AWO bekommt entweder durch Altkleidersammlungen oder durch Privatleute Kleiderspenden und auch Karstadt rangiert mal etwas aus. Alle Kleiderspenden werden sortiert, gewaschen, gebügelt, evtl. fehlende Knöpfe angenäht usw. und dann im hauseigenen Secondhand Shop verkauft. Parallel dazu hatte die AWO damals schon eine kleine Gruppe, die Näharbeiten gemacht hat. Für mich war logisch, wenn ich da anfange, dann gibt es ab sofort Patchwork.

Wenn eine neue Frau angekündigt wird, dann kommt sie zum Einführungsgespräch. Sie wird dann von der Sozialarbeiterin durch die Räume geführt und ihr wird alles erklärt: Hier werden die Kleiderspenden sortiert, hier wird gewaschen und gebügelt und hier wird Patchwork genäht.
Die Frauen, die in meiner Gruppe sind, haben zu 80 Prozent keine Nähkenntnisse – sind sie jedoch sehr daran interessiert, nähen zu lernen, dann kommen diese Frauen  in meine Gruppe. In dieser Gruppe sind maximal acht Frauen. Da sie in den meisten Fällen keine Vorstellung haben,  wie aus dem „zerschnittenen Stoff „ wieder etwas werden kann, nähen sie erst mal alles, was ich vorgebe. Es kommt relativ selten vor, dass sie selbst entscheiden, was sie nähen, oder wie sie das umsetzen könnten, was ihnen durch den Kopf geht. Sie haben höchstens mal einen Farbwunsch oder möchten mal eine Tasche nähen, statt Kissen oder Decken oder was auch immer. Deshalb kann ich mich dort „austoben“.

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Da nur ganz wenige Frauen Näherfahrung haben und auch fast alle noch nie von Patchwork gesehen oder gehört haben, muss ich „ganz klein“ anfangen. Aus Versicherungsgründen dürfen die Frauen auch nicht mit dem Cutter schneiden. Bei durchschnittlich 6 TN ist das, zumindest für meine Hände, an manchen Tagen sehr anstrengend und auch langwierig.

Die erste Aufgabe für eine Anfängerin ist es, 16 verschiedene Baumwollstoffe auszusuchen, mit einer Schablone Quadrate aufzuzeichnen und dann mit der Schere auszuschneiden. Nach diesen drei Arbeitsschritten habe ich dann schon einen Eindruck, wie ich weiter vorgehen kann.
Die erste Arbeit ist eine Verschnitttechnik. Meist wird eine Tasche oder Kissen mit Hotelverschluss daraus, später dann auch mit Reißverschluss.

Wichtig bei allen Arbeiten bzw. Mustern ist, dass es auch schiefe Nähte sein dürfen. Muster, bei denen Spitzen „mit Spitzen“ sein müssen oder viel Nähte aufeinander treffen, kommen bei uns nur selten vor.

Handquilten haben in meinen 11 Jahren erst zwei Frauen gemacht. Auch Maschinequilten ist nur selten möglich. So sind die großen Decken überwiegend in Klapptechnik genäht, damit die drei Lagen miteinander verbunden sind, mitunter nähen wir auch nach der Quilt as you go Methode.

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Woher kommen die Stoffe, mit denen Ihr näht?
Die Stoffe bzw. das Material, mit dem wir arbeiten, stammt vorrangig aus Spenden. Beispielsweise spenden die Frauen vom Patchworktreff Berlin Brandenburg ab und zu etwas. Es werden uns auch Stoffspenden direkt gebracht. Wir arbeiten aber auch relativ viel mit Oberhemden, Blusen und viel Bettwäsche, die wir zum Teil auch selbst einfärben. Wir färben hauptsächlich Laken. Es gibt einen kleinen Bereich, wo drei Waschmaschinen stehen, denn die Kleiderspenden werden alle erst einmal gewaschen. Diese Maschinen nutzen wir auch zum Färben.

Was passiert mit den Sachen, die dort genäht werden?
Im Internet kann man die Sachen sehen, die genäht wurden, sie stehen dort zum Verkauf – allerdings wird relativ selten etwas verkauft.
Nähtechnisch sind auch Sachen dabei, die nicht so schön sind. Da sind auch die Preise anders. Zwischendrin hatten wir auch mal ein paar Aufträge – große Decken. Da haben die Frauen, die den Auftrag erteilten, die Stoffe mitgebracht. Mitunter gruselig – ausgeschnittene Spitze aus einem Unterhemd, Ärmel von einer Bluse, einen halben Rock, eine alte Schürze, zerschlissene Bettwäsche. Ich habe die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.
Sie fanden aber die Stoffe schön, – nun mach mir mal eine Decke draus. Es waren aus unserer Sicht „schreckliche“ Stoffe, komische Farben usw., aber wenn es die dann nur noch schmale Streifen sind, sehen die plötzlich ganz anderes aus. In der großen Fläche sind sie hässlich, als schmaler Streifen sind sie plötzlich ein Eyecatcher. Und die Decke selbst ist in Crazy Technik eigentlich sehr schön geworden.

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Wir hatten z.B. mal einen Herrn, der muss in der Gegend wohnen, der wollte zwei Kissen haben, er hatte im Internet welche gesehen. Das Muster gefällt ihm sehr gut, aber er bräuchte andere Farben, ob das auch geht. Ich habe ihn zu unserem Stoffregal geführt, damit er sich die passenden Farben aussuchen konnte. Und er war dann sehr zufrieden. Die Stoffe, die er sich ausgesucht hat,  haben wir verwendet. Aber wir haben zwei verschiedene Muster gemacht – was bei dem einen Kissen orange war, war bei dem anderen Kissen blau und umgekehrt. Ich hoffte, wenn er vier schöne Kissen sieht, dann kauft er vielleicht auch vier Kissen. Er hat dann tatsächlich alle vier statt der bestellten zwei genommen. Aber das ist selten.

Dürfen die Frauen das, was sie genäht haben, auch mit nach Hause nehmen?
Sie können die Sachen mitnehmen, müssen sie allerdings auch bezahlen. Eine Decke in der Größe 120 bis 180 cm kostet im Höchstfall 90 bis 100 Euro. Meistens werden Taschen oder Kissen gekauft.

Wieviel Platz habt Ihr?
Es gibt einen Aufenthaltsraum inklusive Küche für die Frauen. Es gibt den Raum, wo die ganzen Kleiderspenden aus den Säcken auf dem Tisch sortiert werden. Dann gibt es noch einen weiteren Raum zum Bügeln, auf den ausgewichen werden kann, und in einem dritten Raum bin ich mit meinen Frauen – dort gibt es bis zu 8 Nähplätze.

Was kannst Du mir über die Frauen sagen, die dort nähen?
Die Frauen haben Geldstrafen wegen irgendeiner Diebstahlsgeschichte, Schwarzfahren, Beamtenbeleidigung etc. erhalten. Die Einrichtung in der Prinzenallee im Wedding ist die einzige dieser Art in Berlin. Die Frauen kommen aus sämtlichen Bezirken in Berlin, aus allen Schichten, mit allen Bildungsabschlüssen. Die Frauen im Alter zwischen 18 und 70 Jahren wurden zu Tagessätzen verurteilt und wenn sie die Geldstrafe nicht bezahlen können, können sie sie abarbeiten. Die kürzeste Zeit waren 14 Tage, es gab aber auch Frauen, die waren 1,5 Jahre da.

Wie geht es für die Frauen weiter?
Viele Frauen versuchen, nach der Zeit im ISA-K zu einer Nähmaschine zu kommen. Ich weiß von einer Frau, dass sie ihrer Nachbarin erzählt hat, sie lernt jetzt nähen. Die Nachbarin ist schon über 80 Jahre alt und hat ihr eine alte Nähmaschine geschenkt, die sie noch im Keller stehen hatte.

Wie lange betreust Du das Projekt schon?
Im Februar 2015 sind es 11 Jahre und ich bin nach wie vor begeistert und motiviert. Es ist ein schönes Arbeiten, weil die Frauen auf irgendeine Art auch dankbar sind. Wenn sie ihren letzten Tag bei mir haben, dann gibt es auch öfter mal Tränen, sie bedanken sich und sagen: “Ich habe ja so viel bei ihnen gelernt“.

Vielen Dank, Regine, für das auführliche Interview!