Reportagen

Ach, Emilie, wenn Du wüsstest… Ein Kleid von Emilie Flöge wird ins Jahr 2020 geholt

Seit vielen Jahren interessiert am Wiener Jugendstil, an den Künstlern dieser Epoche und ganz besonders an Gustav Klimt (1862-1918), war ich hocherfreut, als ich vor einigen Jahren in einem modernen Antiquariat den dicken Bildband ‚Gustav Klimt & Emilie Flöge. Fotografien’ aus dem Prestel-Verlag entdeckte. Schnell merkte ich, dass mich die Fotos von Klimt viel weniger fesselten als die von Emilie Flöge (1874-1952) und dies vor allem wegen der wunderschönen Reformkleider, die sie auf den Fotos trug. Als Schneiderin und Modeschöpferin hatte Emilie Flöge nicht nur Erfolg mit ihrem Modesalon in der Wiener Mariahilferstraße, sondern trug selbst vorzugsweise ihre eigenen Modelle, aber auch Kreationen von Designern der Wiener Werkstätte wie Koloman Moser (1868-1918) oder Eduard Josef Wimmer-Wisgrill (1882-1961).

Durch diesen Bildband stöberte ich im vergangenen Jahr mit meiner Freundin Klara, die sich als Werklehrerin und Kunsterzieherin, mit einer Zusatzausbildung für Textilgestaltung, für Textilkunst aller Art interessiert und selbst die wunderbarsten Werke kreiert. Dieser optische Spaziergang durch Emilie Flöges Reformkleider-Garderobe ließ die Idee entstehen, eines dieser Kleider wieder auferstehen zu lassen. Da ich nur Knöpfe annähen und allerhöchstens noch einen Saum kürzen kann, war klar, dass Klara diejenige sein würde, die die ganze Arbeit würde schultern müssen. Das hat sie aber glücklicherweise nicht abgeschreckt!

Der erste Schritt war, eine Wahl zu treffen, welches der Kleider es sein sollte. Dabei war das wichtigste Kriterium, dass es auch heutzutage tragbar sein sollte. Das heißt, dass alle diese traumhaft schönen Gewänder mit üppigen Ärmellösungen und großem Stoffvolumen am Rocksaum nicht in Frage kamen. Und es durfte auch nicht bodenlang sein wie alle abgebildeten Kleider. Ziemlich schnell fiel die Wahl auf ein Sommerkleid, das im Vergleich zu allen anderen eher schlicht ausfiel und auch gut kürzbar erschien, ohne den Gesamtentwurf zu beeinträchtigen. Wir entschieden uns, dass es ein einfarbiger Stoff sein sollte, die Passe in der vorderen Mitte jedoch gemustert, am liebsten in einem Jugendstil-Design der Wiener Werkstätte.

Während wir ziemlich schnell einen leichten petrolfarbenen Wollstoff in Klaras unerschöpflichen Stoff-Vorräten fanden, der geeignet schien und uns gefiel, war die Suche nach dem gemusterten Stoff für die Passe eine unerwartete Geduldsprobe. Erste Anlaufstelle war ein Geschäft in der Akazienstraße in Schöneberg, das Stoffe aller Art aus dem gesamten 20. Jahrhundert führt. Dort erfuhren wir, dass es so gut wie keine Jugendstil-Stoffe mehr gibt. Keine Massenproduktion, Verschleiß, Mottenfraß? Vermutlich von allem etwas. Auch ein Vintage-Mode-Laden in Schöneberg, der neben Kleidung ein kleines Stoffangebot führt, hatte nichts Passendes für uns. Während Klara schon am Schnitt tüftelte, suchte ich im Internet nach entsprechenden Angeboten – ohne Erfolg. Eine neue Idee war, ausgehend davon, dass Entwürfe der Wiener Werkstätte heute noch Verwendung finden als Möbelstoffe für Stühle, Sofas oder Gardinen, in Fachgeschäften für Polsterstoffe und in Möbelgeschäften zu stöbern. Auch hier gab es nur einen halben Erfolg: Wir fanden zwar in Charlottenburg ein Geschäft, das tatsächlich Stoffe in der von uns gesuchten Art führte, aber es war keiner dabei, der für das Kleid passend gewesen wäre.

Nach weiteren Wochen fiel mir eine Werkstatt für Möbelrestaurierung in Wilmersdorf ein, die im Schaufenster auch hin und wieder Thonet-Stühle und Wiener Jugendstil-Möbel zeigt. Dort war mir schon öfter zwischen den Kleinmöbeln ein aufgeschlagenes Musterbuch mit Möbelstoffen der Nachfolgefirma der Wiener Werkstätte aufgefallen. Und hier wurde ich tatsächlich fündig! Die sehr liebenswürdige Inhaberin holte, als ich ihr unser Anliegen schilderte, einen kleinen Koffer mit Stoffresten, die immer AbnehmerInnen finden, wie sie mir schilderte, z. B. für Kissen. Und tatsächlich: Hier fand ich den farblich passenden hellen Stoff, mit einem zarten schwarzen Jugendstilmuster. Klara war davon genauso angetan wie ich!

In ihrem Atelier hatte Klara inzwischen den Schnitt konzipiert und so konnte nach und nach ein Mustermodell aus naturfarbenem leichtem Baumwollstoff entstehen. Bei den Anproben korrigierte Klara da und dort nach und so wuchs peu à peu unter ihren geschickten Händen Emilies Kleid und erstand ganz neu. Zu unser beider Freude konnten wir in diesem Frühling das Projekt abschließen. Als letztes wurde der Saum auf die passende Länge gebracht.
Jetzt wartet das wunderschöne Flöge-Kleid nur noch darauf, getragen zu werden, vielleicht zu einem Geburtstagsfest oder einem Opernabend?

Literaturhinweise:
Gustav Klimt & Emilie Flöge. Fotografien. Hrsg. von Agnes Husslein-Arco und Alfred Weidinger. München, London, New York, 2012.
Greiner, Magret, Auf Freiheit zugeschnitten. Emilie Flöge. Modeschöpferin und Gefährtin Gustav Klimts. Romanbiographie. Wien, 2014.
Ströbel, Birgit, Emilie Flöge – Modedesignerin und Lebensfreundin von Gustav Klimt. In: Textile Art Magazine, August 2019.