Reportagen

Mode Kunst Werke

Im Kunstgewerbemuseum wurde im November 2014 die lang ersehnte Modegalerie eröffnet. Kleidungsstücke und Accessoires der Sammlung historischer Kostüme werden in diesem Umfang jetzt das erste Mal präsentiert.

Es ist kein leichtes Unterfangen alte Textilien auszustellen, denn die konservatorischen Anforderungen verlangen erhebliche Beschränkungen. Die Objekte vertragen nicht die geringste mechanische Beanspruchung und sind nur auf speziell angefertigten Figurinen zu zeigen. Die Vitrinen müssen schadstoff- und staubfrei sein; die Stoffe vertragen nur gedimmtes Licht. Zudem beanspruchen Kleidungsstücke auf Figurinen viel Raum. Um sie gut betrachten zu können, sollten sie für sich stehen.
Trägt man diesen anspruchsvollen Bedingungen Rechnung, kann man sich über das, was man zu sehen bekommt, nur freuen. Die chronologische Präsentation umfasst das europäische Modegeschehen der letzten 300 Jahre mit 130 Kostümen und vielfältigen Accessoires. Die Vitrinen mit den Kostümen aus dem 18. und 19. Jahrhundert sind in die jeweiligen Epochenräume des Museums integriert. Die Modegalerie (vom Foyer aus zugänglich) zeigt Kleidung, die nach 1850 entstand und vor allem von der Pariser Haute Couture geprägt wurde.

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Die Auswahl der präsentierten Objekte finde ich gelungen (obwohl ich den gesamten Sammlungsbestand natürlich nicht kenne) weil charakteristische, hochwertige Kleidungsstücke das jeweilige Ideal einer Epoche zeigen. In der zeitlichen Abfolge der Exponate werden die Veränderungen deutlich, insbesondere die Silhouetten und Proportionen sind dem Wandel unterworfen. Der Körper wurde mit Korsetten, Aufbauten und Polsterungen in die vom gängigen Schönheitsideal gewünschte Form gebracht. Wie mühevoll das Ankleiden sein konnte und wie beschränkt die Bewegungsmöglichkeiten oft waren, ahnt man beim Anblick der Unterkleidung, die ebenfalls in typischen Exemplaren zu bestaunen ist.
Besonders beeindruckend sind die Veränderungen in gesellschaftlichen Umbruchzeiten: Man kann deutlich sehen, wie die Französische Revolution, der 1. und 2. Weltkrieg die Rolle der Frau und damit ihre Kleidung beeinflusst haben.
Männerbekleidung wird übrigens nur bis zur Französischen Revolution gezeigt. Mit Aufkommen des bürgerlichen Anzugs wurde sie einheitlicher und „langweiliger“ und bot wohl wenig Anlass, sie aufzubewahren.

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Es macht Freude durch die Ausstellung zu gehen, nicht nur weil es so viel zu sehen und zu entdecken gibt, sondern weil die Vorstellungskraft so angeregt wird. Unweigerlich fragt man sich, wie wohl ein Kleid am Körper in der Bewegung gewirkt haben mag. Die Originale haben ohne Zweifel ihre Aura, aber zu Kunstwerken werden Kleidungsstücke doch eigentlich erst durch Körper und Persönlichkeit der Trägerin.
Im angekündigten Medienraum soll dieser Aspekt mit Filmen und Photos deutlicher werden. Ich bin gespannt darauf. In jedem Fall ist das Interesse geweckt, tiefer in die Welt der Mode einzudringen. Viele Fragen stellen sich, die man weiterverfolgen möchte.

Eine kleine Auswahl:
– Wer hat die Kleidungsstücke angefertigt – wo unter welchen Bedingungen?
– Welche Materialien – Schnitt- und Verarbeitungstechniken wurden eingesetzt?
– Welche Bewegungen sind möglich, welche nicht – welche Körperhaltung wird erzwungen?
– Wer hat die Kleidungsstücke getragen – zu welchem Anlass
– Wie überstanden sie die Zeiten bis heute – wer hat sie warum gesammelt?
– Was lagert wohl noch alles im Depot?

und in Bezug auf die Gegenwart:
– Was bedeuten diese Kleider uns heute?
– Was würde man heute sammeln: was wäre bezeichnend?
– Wie sieht unser Verhältnis von Normierung und Freiraum des Körpers (der heute selbst gezielt verändert wird) aus?
– Wie stellt sich das Verhältnis zwischen Alltagsmode und Haute Couture dar?

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Antworten dazu kann man in Berlin an vielen Stellen finden.
Schon die nächste Umgebung im Kunstgewerbemuseum erweitert die Sicht : Die Epochenräume vermitteln mit ihren vielfältigen Exponaten die ästhetischen Ansprüche und Vorlieben der Zeit und lassen die Umgebung ahnen, in der die Kleidung zur Geltung kam.
In Planung ist zudem (lt. Interview im Museumsjournal 4/2014) eine didaktischen Galerie, die sich dem „Anfassbaren“, Stofflichen und Handwerklichen der historischen Kostüme widmen wird.

Ein paar Schritte weiter ist im Kulturforum die umfangreiche, sogar weltweit einzigartige Lipperheide’sche Kostümbibliothek wichtiger Bestandteil der Kunstbibliothek. In der gegenüber liegenden Gemäldegalerie ist auf vielen Gemälden die Kleidung der Zeit an „bewegten“ Körpern in ihrer Umgebung und dargestellt im Stil der Zeit zu entdecken.
Zu den Sammlungen und Exponaten weiterer Museen in Berlin gehören ebenfalls Kleidungsstücke. Die Stadtmuseen sind an Berliner Mode interessiert, „Alltagskleidung“ und Trachten finden sich im Museum Europäischer Kulturen und das Ethnologische Museum zeigt in seinen Abteilungen eine große Vielfalt von Bekleidung, die über den eurozentrischen Blick hinausführt.

Jede Menge Schätze und man wünscht sich kundige Führung und Anregung. Die Vorstellung, dass die Bereiche in den jeweiligen Institutionen kooperieren und interessierten Laien wie Professionellen eine breite Plattform für Austausch und Veranstaltungen bieten, ist wohl Zukunftsmusik. Aber das Bild von einem lebendigen workshop in dem großen Foyer gleich neben der Modegalerie will mir nicht aus dem Kopf.

Zur Ausstellung ist im Imhoff Verlag ein ausführlicher, reich bebilderter Katalog erschienen.

Kunstgewerbemuseum Kulturforum
Staatliche Museen zu Berlin
Matthäikirchplatz
10785 Berlin
Öffnungszeiten : Di – Fr 10 -18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr  Sa/So 11 – 18 Uhr

Christine Groß, 21.6.2015

Alle Fotos: Rose Wagner (netzwerk mode textil)